Vom Bahnhof Friedrichstraße aus strömen schon rund eine Stunde vor dem Beginn der Demonstration unzählige Menschen in Richtung Brandenburger Tor. Zu diesem Zeitpunkt nennt ein Polizist die Zahl von etwa 50.000 Teilnehmern, die sich anlässlich des „Aufstands für den Frieden“, so der offizielle Name der Kundgebung im Herzen der Hauptstadt versammelt haben.

Unter den Linden, direkt vor der russischen Botschaft, staut sich die Menge. Dort ist das inzwischen wieder abtransportierte Panzerwrack zu sehen, welches als Mahnmal zum Jahrestag dort aufgestellt worden war. Der russische Panzer vom Typ T-72 sollte als Mahnmal gegen den Krieg dienen. Laut den Initiatoren der Aktion war der Panzer am 31. März 2022 beim Angriff der russischen Armee auf Kiew auf eine Mine gefahren und durch die Explosion zerstört worden. Vermutlich seien Soldaten darin gestorben.

Auf dem Panzer weht die ukrainische Fahne, es steht ein Schild mit der Aufschrift „Wolodymyr Selenskyj Platz darauf, sowie ein Plakat, welches wohl die NATO symbolisieren soll - in Form eines Tierchens. Das Panzerwrack wird umrundet, Fotos werden gemacht.

So eine Geschmacklosigkeit!“, äußert eine Frau. „Ausgerechnet in der Stadt, von der Hitlers Krieg ausging, wird hier so ein Kriegsgerät ausgestellt, wie eine Trophäe.“ Die Frau schüttelt den Kopf. Ihr Begleiter, der wie sie aus Leipzig angereist ist, ruft entrüstet: “Demnächst werden hier noch die Leichname russischer Soldaten ausgestellt!

Plötzlich springt ein älterer, aber rüstig wirkender Herr auf den Panzer. Der Mann entfernt die ukrainische Flagge, schmeißt diese zu Boden und legt einen Strauß Blumen auf dem Kriegsgerät nieder.

 

 

FOTOS: Ramon Schack

Die Menge applaudiert. Ein anderer Mann, offensichtlich einer der Initiatoren des Panzer-Mahnmals, besteigt jetzt ebenfalls den Panzer, schmeißt die Blumen herunter und wird ausgebuht. Der Mann wirkt nervös, ruft die Polizei, als man ihm Fragen stellt. Das Beispiel mit den Blumen macht aber Schule. Am späten Nachmittag ist der Panzer mit Blumen überseht, im Gedenken an die gefallen russischen Soldaten.

Zwei Ehepaare sind aus Mettmann bei Düsseldorf angereist.

"Wissen Sie, wir können nicht mehr nur auf der Couch sitzen, wir sind besorgt, weder links- noch rechtsextrem, sondern einfach für den Frieden. Das Morden in der Ukraine muss aufhören"

betont eine der Ehefrauen aus Mettmann.

Schneeregen setzt ein, es ist wirklich ungemütlich, ein Tag um zu Hause zu bleiben.

Doch auf dem Weg zum Brandenburger Tor herrscht dichtes Gedränge. Eine riesige Menschenmenge bewegt sich langsam in Richtung der Bühne, aber auch von westlicher Seite, aus Richtung Siegessäule und vom Potsdamer Platz nimmt der Menschenauflauf kein Ende. Vereinzelt stehen Personen im Weg, in ukrainische Fahnen gehüllt und beschimpfen die vorbeiziehenden Besucher der Großdemonstration, doch darauf geht niemand ein, denn die Abstimmung mit den Füßen ist eindrucksvoll genug.

Zu Beginn der Großdemonstration wird in den Medien eine geschätzte Teilnehmerzahl von 13.000 Menschen verbreitet - eine Zahl die dann als Fakt präsentiert wird. Alice Schwarzer äußert sich dazu später in ihrem Medium „Emma“:

Die Fakten-Manipulationen und Verdrehungen sind wir leider schon länger verstärkt gewohnt in Deutschland. Und es wird nicht besser - im Gegenteil. Vor allem die sogenannten „Leitmedien“ tun sich da hervor, die sind in der Regel linksliberal und regierungstreu. Die konservative FAZ aber ist auch kräftig dabei. Doch gerade erreicht die Manipulation der Fakten einen einsamen Höhepunkt. Die Medien reden in Bezug auf unsere Kundgebung allen Ernstes von 13.000 TeilnehmerInnen, das hätte der Pressesprecher der Polizei gesagt. Was schlicht lächerlich ist. Schon auf den Fotos, sowie nach ersten Schätzungen und mathematischen Berechnungen waren es mindestens 50.000 TeilnehmerInnen.

Wie es um die Partei die Linke bestellt ist, die sich von dem Aufruf einer ihrer prominentesten und beliebtesten Politikerinnen deutlich distanziert hat, wird schon daran deutlich, dass die Berliner Parteispitze eine eigene, man könnte meinen Gegendemo organisiert hat, auch vor der russischen Botschaft. Die Linke Bundestagsabgeordnete und Wagenknecht-Vertraute Sevim Dagdalen schreibt diesbezüglich auf Facebook:

"Die Berliner Linke bekommt bei ihrer eigenen Kundgebung mit Bekenntnis zu weiteren Waffenlieferungen keine zwei Dutzend Leute auf die Straße. Da ist es einfach nur blamabel und peinlich, zu meinen, die mit Abstand größte Friedenskundgebung seit Jahren mit zehntausenden Teilnehmern, die sich für einen Stopp weiterer Waffenlieferungen, für einen Waffenstillstand und eine diplomatische Verhandlungslösung einsetzt, schade der Friedensbewegung. Was ist das für ein Antifaschismus, der Die Linke für Kriegsgegner unwählbar macht und die Friedenspartei in die große Querfront der vielen anderen Kriegsparteien eingemeinden will? Diese Querfront reicht übrigens bis zur neofaschistischen Organisation "3. Weg", die ebenfalls Waffenlieferungen an die Ukraine fordert und in der Vergangenheit bereits selbst Materialspenden an "kämpfende Nationalisten" des Asow-Regiments geliefert hat.
Ich bin jedenfalls stolz darauf, an dieser Friedensmanifestation aktiv mitgewirkt zu haben und werde dies auch in Zukunft tun! Macht mit, unterstützt uns dabei, eine neue starke Friedensbewegung in Deutschland zu schaffen!"

Beim Blick über die Menge sieht man einen Querschnitt der Bevölkerung. Die reiferen Jahrgänge dominieren, doch auch mehr und mehr jüngere Menschen finden sich jetzt ein.

"Wir kommen aus Schwerin", erwähnt ein Mann Anfang 60.

Ich mache mir Sorgen um das Leben meiner Kinder und Enkelkinder. Natürlich verurteile ich den russischen Einmarsch, deshalb sofortiger Stopp der Kampfhandlungen. Mit Waffen schafft man keinen Frieden, wie unsere Außenministerin behauptet!" 

Eine 38-jährige Ärztin aus Hamburg ergänzt:

"Wissen Sie, ich habe immer Grün gewählt, das ist aber jetzt vorbei, ich fühle mich wirklich betrogen, politisch betrogen!"

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte den von Sahra Wagenknecht und der Publizistin Alice Schwarzer gestarteten Aufruf zuvor scharf zurückgewiesen, er solle sich „an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen“. Über 700.000 Menschen haben schon das Manifest unterzeichnet, welches im Vorfeld der Demonstration als Petition gestartet wurde.

Die Veranstaltung beginnt. Neben Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer standen auch der Friedensaktivist Hans-Peter Waldrich, und General a.D. Erich Vad, zuvor der militärische Berater von Kanzlerin Merkel, auf dem Podium. Die Veranstaltung kann man sich hier anschauen.

Rechtsextreme, wie als Schreckensszenario in diversen Medien gezeichnet, sind unter den Teilnehmern ebenso wenig zu erblicken wie Parolen, Flaggen und Plakate aus diesem Milieu.

Allerdings werden nach Ende der Veranstaltung einige Demonstranten antisemitisch und antirussisch beschimpft, von deutschen Nationalisten, die in ukrainische Fahnen gehüllt ihre Solidarität mit ukrainischen Nationalisten zu Schau stellen. Der Bundesregierung sind diese Aktivitäten schon lange bekannt.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Angesichts des geballten negativen Echos aus Politik und Medien bezüglich der Demonstration vom vergangenem Sonnabend in Berlin, kann der Wunsch eines Demonstranten vor Ort nur begrüßenswert erscheinen. Dieser trug ein Plakat mit der Aufschrift:

"Sahra - ich will kein Kind von Dir, aber eine neue Partei!"

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