Das Versagen der US-Geheimdienste

Hinsichtlich der genannten Prognose ist nicht nur bemerkenswert, dass die Machtübernahme durch die Taliban anscheinend mit einkalkuliert wurde, dass die US-Geheimdienste - die ja regelmäßig dem Weißen Haus ihre Berichte vorlegen – also selbst das Märchen von dem Nation-Building Prozess, welcher sich angeblich seit 2002 am Hindukusch vollzogen hatte, nicht glaubten, sondern ebenfalls, dass diese Fehlkalkulation das Scheitern eines epochal angelegten strategischen Entwurfes darstellt. 

Der ehemalige CIA-Agent Robert Baer sagte gegenüber dem Verfasser dieses Beitrages dazu in einem kürzlich geführten Telefonat:

Zu Beginn des „War on Terror“ baute man in Washington noch auf Pakistan als engen Alliierten beim Vormarsch in Afghanistan, basierend auf den Erfahrungen zur Zeit der sowjetischen Invasion in Afghanistan, wo Pakistan als Rückzugsraum diente, für die Mudschahedin. Washington nutze diesen Umstand damals - in den 1980er Jahren – dazu, den afghanischen Widerstandskämpfer im Kalten Krieg die notwendige militärische Unterstützung zu gewähren, um der Roten Armee maximal zu schaden. Außerdem wollte Washington vor Augen der Weltöffentlichkeit beweisen, dass die USA als Alliierter der gesamten muslimischen Welt für Afghanistan gegen die gottlosen Kommunisten kämpfte. Die Saudis nutzen diese Gelegenheit, ihre puritanische Form des Islams, den Wahhabismus, der bis dahin in der islamischen Welt eine Randerscheinung war, schlagartig zu verbreiten, dabei auch noch die radikalen Hitzköpfe und los zu werden, die das eigene Königshaus in Frage stellten -im besten Fall als Märtyrer im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Es war also eine "Win-win-Situation" für die saudischen Wahhabiten, welche sich im Schatten der US-Aufrüstung der Mudschahedin vollzog.“

Was nach dem Abzug der Roten Armee geschah

Anfang der 1990er Jahre, nach dem vollzogenen Abzug der Roten Armee aus Afghanistan, besonders aber nach dem Untergang der Sowjetunion, geriet das Land am Hindukusch aus dem Blickfeld Washingtons.

Zu jener Zeit, in der angeblich das „Ende der Geschichte“ angebrochen war, wie es der US-Politologe Francis Fukuyama pathetisch formuliert hatte - ein Zeitalter in dem nur noch westliche Polit- und Wirtschaftsmodelle den Lauf der Welt bestimmen sollten - war Washington darum bemüht, sich einen dauerhaften Zugriff auf die immensen Erdgas- und Erdölreserven Zentralasiens zu sichern. Dies galt besonders für Turkmenistan und Kasachstan wo ehrgeizige Pipeline-Projekte, allerdings unter der Umgehung Russlands und Irans, geplant wurden, um sich den Zugriff abzusichern.

Die Firma UNOCAL

Afghanistan gelangte erst wieder in den Fokus Washingtons, als man realisierte, dass man das Land als Transitland benötigt, um das zentralasiatische Erdöl und Gas aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion für die geplanten Pipeline-Projekte quer durch das afghanische Territorium an die Küste Pakistans zu befördern. Das Unternehmen Unocal „United Oil of California“ plante entsprechend den Bau einer gigantischen Gasleitung von Turkmenistan an die pakistanische Küste.

Das Projekt wurde unter anderem von Ex-Außenminister Henry Kissinger protegiert, und stieß beim damaligen Präsidenten Clinton auf offene Ohren. Clinton selbst traf sich mit dem turkmenischen Autokraten Saparmyrat Nyýazow und machte sich für den Bau der Gasleitung stark.

Washington verschloss damals nicht nur die Augen vor der radikal-islamischen Agenda der Taliban, die ihre Ursprünge in den Religionsschulen für afghanische Flüchtlinge in Pakistan hatten, sondern auch vor der Finanzierung dieser Gruppierung durch den engen Verbündeten Saudi-Arabien. Finanzielle Interessen dominierten, auch wenn das saudisch-amerikanische Pipeline-Projekt den Taliban dabei helfen würde, an der Macht zu bleiben. 

Schon am Oktober 1995 unterzeichnete der turkmenische Präsident Saparmyrat Nyýazow mit Unocal sowie deren saudischen Partner Delta Oil in New York ein Agreement über den Bau der Gas-Pipeline durch Afghanistan nach Pakistan.

Die Vertragspartner und ihre Regierungen warteten allerdings erst ab, bis das kommunistische Staatsoberhaupt von Afghanistan, Nadschibullah von den Taliban, nach deren Eroberung von Kabul, wie ein Stück Vieh durch die Straßen zu Tode geschleift und ein Emirat errichtet wurde. Die Errichtung der Pipeline war für 2001 geplant, welche dann durch die historische Zäsur des 11. September 2001 jedoch nicht mehr zu Stande kam.

7 Jahre vs. 6 Tage - die unterschiedliche Geschwindigkeit des Taliban-Vormarsches damals und heute

25 Jahre nach ihrem ersten Einzug in Kabul sind die Taliban dieser Tage wieder in die afghanische Hauptstadt eingerückt.

Während die am besten ausgerüstete Armee der Welt ihre Soldaten in ihren futuristisch anmutenden Kampfmonturen des 21. Jahrhundert dazu einsetzt, Menschen aus Kabul auszufliegen, stehen vor den Toren der Hauptstadt die Taliban. "Folkloristisch" in ihren paschtunischen Gewändern und Kopfbedeckungen und Bärten sehen sie allerdings nur für Augen von außen aus – optisch stellen sie einfach das dar, was ihrer Ansicht nach die richtige Ordnung für Afghanistan verkörpert. Egal welches Jahrhundert.“,

kommentierte Gudrun Harrer in der österreichischen Tageszeitung Standard.

Hinzuzufügen wäre, dass die Taliban immerhin erst sieben Jahre nach dem Abzug der Roten Armee aus Afghanistan die Macht im Lande übernahmen, jetzt aber nur sechs Tage benötigten, nach dem Abzug der US-Truppen, die doppelt so lange im Lande walteten, wie einst die Sowjets. Katastrophaler kann eine Niederlage kaum ausfallen.

Pekings Pragmatismus

Unterdessen streckt die Staats- und Parteiführung in Peking - getragen von jenem Pragmatismus der ein Kennzeichen der Außenpolitik der Volksrepublik China geworden ist - vorsichtig ihre diplomatischen Fühler in Richtung Kabul aus.

China hat sehr genau das Versanden der Großmächte USA und UdSSR in den vergangenen Jahrzehnten am Hindukusch analysiert und wird sich davor hüten, sich dort militärisch in irgendeiner Art und Weise zu engagieren, obwohl China und Afghanistan über eine gemeinsame Grenze verfügen.

Während die Flucht der USA in der chinesischen Presse spitzzüngig als "Zweites Saigon" - in Anlehnung an die Niederlage der Amerikaner im Vietnamkrieg von 1975 - kommentiert wird, betreibt die Regierung eine Intensivierung der diplomatischen Kanäle.

Bei aller Vorsicht ist man sich in der Kommunistischen Partei darüber im Klaren, dass für das Taliban-Emirat die ökonomischen Aktivitäten der Volksrepublik hinsichtlich der Absicherung ihrer Herrschaft von großer Bedeutung sind, zumal diese ja auch ohne innenpolitische Einmischung stattfinden - wie in anderen Teilen der Welt auch. 

„Was bedeutet das konkret für mich!?"

Die Ereignisse in Afghanistan bleiben nicht ohne Widerhall auf der weltpolitischen Bühne. Für die Anti-China-Politik von US-Präsident Biden bedeutet dies nichts Gutes, denn die USA starten geschwächt in diese Konfrontation - die Volksrepublik auf der anderen Seite gestärkt.

Schon mahnte das Pekinger Partei-Organ "Global Times" in Richtung Taiwan, die Flucht der Amerikaner aus Afghanistan als einen Beweis dafür zu sehen, dass US-Truppen die Insel im Ernstfall gar nicht verteidigen, sondern abziehen würden.

Die Nachrichtenagentur Xinhua ließ verlautbaren, der ‚Fall von Kabul‘ läute die Totenglocke der US-Hegemonie ein, während Präsident Xi Jinping in seinen Reden immer wieder betont, die Welt werde

"bald die größten Veränderungen seit 100 Jahren erleben".

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