Denn mit der jüngsten Ankündigung bezüglich eines vorzeitigen Rücktritts von Shinzo Abes Amtsnachfolger Yoshihide Suga nach weniger als nur einem Jahr scheint diesen Hoffnungen vollends ein Strich durch die Rechnung gemacht worden zu sein.

Yoshihide Suga, der insbesondere aufgrund von höchst fragwürdigen Entscheidungen in Sachen Corona-Pandemie in seiner Heimat in die öffentliche Kritik geraten war, sah sich angesichts von drastisch sinkenden Zustimmungswerten nicht mehr dazu in der Lage, sein Amt weiter auszuüben.

Hierbei handelt es sich allerdings nur um eine Seite der Medaille. Denn manchmal dauert es einfach seine Zeit, bis sich wirtschaftspolitisch getroffene Fehlentscheidungen für jedermann offensichtlich werdend als jene Desaster erweisen, vor denen Kritiker zuvor über einen langen Zeitraum gewarnt hatten.

So verhält es sich mit Blick auf jenes zu Beginn der vergangenen Dekade unter heimischen Zentralbankern, Regierungsmitgliedern sowie Mainstream-Ökonomen hoch angepriesene Rezept der Abenomics, in deren Zuge die Bank of Japan nicht nur ihre Unabhängigkeit von der Politik de facto verloren hatte, sondern im Anschluss hieran den japanischen Bond- und Staatsanleihemarkt quasi-verstaatlicht hat.

Ich war zuletzt in dem Bericht Globale Geldpolitik entzweit sich zunehmend auf Abenomics eingegangen, darauf hinweisend, dass eine Abkehr von dieser Strategie nach dem inzwischen erfolgten Wechsel an der Spitze der Tokioter Regierung unmittelbar bevorstehen könnte.

Die dereinst mit Abenomics verbundenen Ziele fußten darauf, die japanische Wirtschaft und Gesellschaft einem radikalen Wandel zu unterziehen. In diesem Zuge sollten die Löhne und Gehälter an den heimischen Arbeitsmärkten angehoben, die Exporte des Landes ausgeweitet, eine ökonomische Renaissance eingeleitet und Japans Wirtschaft aus einem deflationären Umfeld befreit werden.

Dieser „Kampf“ gegen eine anhaltend hartnäckige Deflation hatte bereits in den 1990er Jahren nach dem Platzen der japanischen Immobilien- und Aktienmarktblase begonnen. Die im Zuge von Abenomics erfolgte Umwandlung der Bank of Japan in einer Art Waffe erwies sich rückblickend betrachtet eigentlich als nichts anderes als ein letztes, großes Aufbäumen im Kampf gegen die vorherrschenden Kräfte und sich darstellenden Realitäten.

Abenomics befand sich allein deshalb schon auf tönernen Füßen, weil hiermit zu keinem Zeitpunkt das Ziel eines langfristig schwächeren Yen-Außenwerts verfolgt wurde. Vielmehr wurde schon nach kurzer Zeit deutlich, dass sich die Tokioter Regierung unter Zuhilfenahme der Bank of Japan eines bislang ungesehenen Gelderzeugungsprogramms bedient hat.

Nichtsdestotrotz befindet sich beispielsweise der Nikkei Index, ausgehend von aktuell rund 28.000 Punkten, noch immer sehr deutlich unterhalb des ehedem erreichten Allzeithochs im Bereich von vierzigtausend Punkten.

Die vor wenigen Tagen im Rahmen eines Interviews gegenüber der Financial Times erfolgten Eingeständnisse des neuen Premierminister Japans, Fumio Kishida, ließen dann aber doch aufhorchen, da Fumio Kishida Abenomics in diesem Zuge nicht nur offen heraus für gescheitert erklärte, sondern auch gleichzeitig ein Ende der Ära des Neoliberalismus in seinem Heimatland in Aussicht gestellt hat.

Ferner kritisierte Fumio Kishida seine eigene Partei dafür, dabei versagt zu haben, unter dem langjährigen Regime von Abenomics nicht für ein breiteres Wachstum der Wirtschaft Japans gesorgt zu haben.

Nach wie vor sei es in seinem Land darüber hinaus zu keinen regulatorischen Reformen gekommen, die jedoch wichtig seien, um die sich immer stärker ausweitende Lücke zwischen arm und reich zu schließen.

Ähnlich wie in vielen anderen Nationen, in denen die elektronische Gelderzeugung durch Zentralbanken völlig aus dem Ruder gelaufen ist – allen voran in den Vereinigten Staaten – hat diese vollkommen rücksichtslose Geldpolitik inzwischen zu einer gesellschaftlichen Spaltung und einer enormen gesellschaftlichen Ungleichheit geführt.

Laut Fumio Kishida habe Abenomics zwar einen Beitrag dazu geleistet, das ökonomische Wachstum in Japan, die heimischen Unternehmensgewinne und die Beschäftigung ein wenig anzukurbeln, was allerdings nicht dazu geführt habe, einen sich verselbständigenden Zyklus zu begründen.

Heißt aus meiner persönlichen Sicht übersetzt, dass Abenomics sich nicht als nachhaltig erwiesen oder sich nur auf bestimmte Teile der Gesellschaft ausgewirkt zu haben scheint. Fumio Kishida ergänzte hierzu, einen in sich runden und sich verselbständigenden Zyklus anzustreben, in dessen Zuge die persönlichen Einkommen in der gesellschaftlichen Breite ansteigen und die Menschen aus diesem Grunde mehr zu konsumieren in der Lage sein werden.

In Japan wird der Begriff des Neoliberalismus häufig mit jenen in den beiden Jahrzehnten der 1990er und 2000er Jahre auf den Weg gebrachten Reformen in Verbindung gebracht. Ähnlich wie in Europa und weiten Teilen des Rests der Welt waren hiermit Schlagwörter wie eine grundlegende Reformierung der Arbeitsmärkte, Deregulierung, Privatisierung sowie eine Senkung der öffentlichen Ausgaben verbunden.

Den im September 2020 von seinem Amt zurückgetretenen Premierminister Shinzo Abe kritisiert Fumio Kishida wahrscheinlich auch deswegen, weil die Umfragewerte seiner Partei schon seit einiger Zeit sinken. Laut jüngst veröffentlichten Umfragen verfügt Fumio Kishida in Japan als neu in sein Amt eingeführter Premierminister über Zustimmung von durchschnittlich gerade einmal etwas über fünfzig Prozent.

Diese aktuellen Umfragewerte rangieren deutlich niedriger als im direkten Vergleich zu den jeweiligen Amtseinführungen von Fumio Kishidas Vorgängern. Der neue Premierminister Japans dürfte sich also darüber gewahr sein, dass ihm nicht allzu viel Zeit bleiben wird, um nachhaltige Reformen in seinem Heimatland anzustoßen und umzusetzen.

Wie schwierig ein solches Unterfangen zu sein scheint, hatte das jüngst erfolgte Zurückrudern des neuen Premierministers in Bezug auf dessen zuvor ins Spiel gebrachte Anhebung der Kapitalertragssteuer gezeigt.

Es dauerte hierauf nicht lange, bis die japanischen Aktienmärkte hiervon Notiz nahmen und die Kurse an der Tokioter Börse ins Stolpern gerieten. Lobbyisten und andere Repräsentanten der sogenannten Shareholder Value Wirtschaft warnten in einem fast einstimmig ertönenden Chor davor, dass ein wiedererwachtes Interesse am Aktienkauf unter japanischen Investoren auf diese Weise zunichtegemacht zu werden drohe.

Fumio Kishida verfolgt den Plan, das wirtschaftliche Fundament Japans zu erneuern, indem sich der neue Premierminister beispielsweise für die Gewährung von staatlichen Steueranreizen zugunsten von Unternehmen einsetzt, welche die Löhne und Gehälter ihrer Mitarbeiter auf freiwilliger Basis anzuheben bereit sind.

Insbesondere in diesem Aspekt spiegelt sich der Versuch einer Adressierung von vorherigen Fehleinschätzungen, die auf jenen spätestens seit den 2000er Jahren vielerorts gepriesenen „Trickle-down“ Theorien samt einer Lobpreisung von marktorientierten Reformen fußten.

Nicht nur in Japan, sondern auch in den Vereinigten Staaten und weiten Teilen Europas wird in diesen Tagen beklagt, dass bei Weitem zu wenig von oben nach unten geflossen sei. Viel eher wird es unverkennbar, dass die Ausweitung der finanziellen und sozial-ökonomischen Unterschiede zu einer sich vertiefenden Gesellschaftsspaltung geführt haben.

Fumio Kishida beklagt in diesem Zusammenhang, dass regulatorische Reformen eigentlich fast immer mit einem radikalen Marktfundamentalismus assoziiert würden – oder einer Art Wettbewerb, der sich rein zu einem Überleben der gesellschaftlich Stärksten zu entwickeln drohe.

Unternehmen und die breite Öffentlichkeit ruft Fumio Kishida aus diesem Grund dazu auf, sich zukünftig Visionen im Hinblick auf eine kooperativere Wirtschaft vorzustellen. Zu diesem Zweck soll es unter Fumio Kishidas Führung in der Zukunft unter anderem auch zu einer sich intensivierenden Zusammenarbeit zwischen dem Staat, somit also der Regierung, und der privaten Wirtschaft kommen.

Es handele sich hierbei um eine strategische Aufgabe, die das Ziel verfolge, um einen Zugang zu allen grundlegend wichtigen Gütern und Technologien wie Halbleitern sowie Speicher- und Computerchips oder Rohstoffen wie Seltene Erden aus japanischer Sicht zu sichern und deren Fluss zu gewährleisten.

Auf andere Weise ließe sich schlichtweg keine ökonomische Sicherheit herstellen, wie Fumio Kishida weiter ins Feld führte. Um zukünftiges Wachstum zu generieren, sei es von einer immensen Wichtigkeit, diesen Zugang bei gleichzeitig erschwinglichen Preisen zu sichern. In diesem Zuge deutete der neue Premierminister auch auf eine potenzielle Ausweitung im Bereich der Corporate Governance hin.

Ein in diesem Bereich zuletzt im Jahr 2015 verabschiedeter Code erweise sich aus heutiger Sicht nicht als ausreichend, um Schieflagen unter mittelgroßen und kleinen Unternehmen zu adressieren.

Die aktuell vorherrschenden Regularien richteten sich verstärkt auf den Konzernsektor, seien aus Perspektive von mittelgroßen und kleinen Unternehmen jedoch weithin unzureichend, weshalb es in diesem Bereich dringend zu einer Adjustierung und Anpassung kommen müsse.

Es hat nicht lange gedauert, bis sich in den Chef-Etagen der heimischen Konzerne Widerstand gegen Pläne dieser Art regte. Vielmehr werfen japanische Konzernchefs dem neuen Premier des Landes vor, eine ökonomische Agenda zu verfolgen, die am Ziel vorbeizuschießen drohe.

Trotz der enormen Gelderzeugung über den Verlauf der vergangenen Jahre falle es der japanischen Wirtschaft laut einer Reihe von Konzernchefs nach wie vor schwer, sich aus einem hartnäckig disinflationären oder deflationären Umfeld zu befreien.

Diese Entwicklungen lassen sich nach rund einer Dekade beobachten, die nicht nur durch eine massive Gelderzeugung durch die Zentralbank geprägt gewesen ist, sondern in der es ferner nicht gelungen war, bestimmte Wirtschaftsbereiche in einem stärkeren Ausmaß zu öffnen und zu deregulieren.

Dabei fand Abenomics unter weiten Teilen der japanischen Gesellschaft über den Verlauf der letzten Dekade Anklang. Allerdings wird immer offensichtlicher, dass es keine Lösung ist, mehr von jener Arznei zu verordnen, die sich zuvor schon als nicht ergiebig erwiesen hatte, um den Patienten, in diesem Fall die japanische Wirtschaft, von einer Krankheit zu heilen.

Erschwerend kommt aus Sicht des neuen Premierministers Japans hinzu, dass Fumio Kishida und dessen Regierung sich schnell wandelnden Veränderungen auf der geopolitischen Landkarte ins Auge blicken.

Zwar wird die Volksrepublik China im Fernen Osten inzwischen als alles bestimmender Faktor wahrgenommen und anerkannt, was jedoch nicht heißt, die Gangart der Pekinger Regierung in außenpolitischen und wirtschaftlichen Fragen stets gutzuheißen.

Umso überraschender mag es anmuten, dass sich Fumio Kishida bislang offen und offiziell gegen einen Beitritt seines Landes zu der kürzlich begründeten AUKUS-Koalition zwischen Australien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten ausspricht.

Nichtsdestotrotz hält Fumio Kishida es für wichtig, dass sich Amerikaner und Europäer im Hinblick auf die Sicherheitsbelange auf dem asiatischen Kontinent engagierten. Aus Sicht Japans verfolgt Fumio Kishida das Ziel, die eigene Raketen- und Abwehrbereitschaft in der Zukunft zu stärken. In diesem Zuge sollen die Verteidigungsausgaben Japans verdoppelt werden, während die ökonomischen Beziehungen zu China stabil gehalten werden sollen.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Es bleibt abzuwarten, welche Amtszeitdauer Fumio Kishida angesichts eines der Liberal-demokratischen Partei und ihm selbst ins Gesicht blasenden Windes beschieden sein wird. Gut finde ich persönlich an Fumio Kishidas Eingeständnis, dass er überhaupt hierzu in der Lage ist, und den Finger in eine offene Wunde legt, die sich nur unter Aufbringung von viel politischem Mut wird adressieren lassen.

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