Auslöser war die Sturmfront „Daniel“, die vom 4. bis 11. September in Griechenland für ungewöhnlich starke Niederschläge sorgte und in der Folge in Libyen tausende Todesopfer forderte.

Kein Trinkwasser, kein Wasser zum Waschen und Seuchengefahr

Zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Zeilen stehen weite Regionen Thessaliens seit vierzehn Tagen unter Wasser. Für die Bewohner gibt es kein Trinkwasser. Selbst vom Waschen mit dem Wasser aus der wiederhergestellten Leitungsversorgung wird gewarnt. Wasser und Schlamm auf den Straßen und Feldern von Thessalien sind mit chemischen Elementen und Verbindungen unbekannten Ausmaßes, sowie durch hunderttausende verendete und noch nicht vollständig geborgene Tiere belastet. Es gibt vermehrt Meldungen über Magen-Darm-Erkrankungen, Salmonellenvergiftungen und Atemwegserkrankungen. Allein in der Hafenstadt Volos sind knapp 90.000 Menschen betroffen.

Wissenschaft vs. Politik

Offiziell wird die Wetterlage des Sturmtiefs Daniel, das die Flutkatastrophe auslöste, auf den Klimawandel zurückgeführt. Dies nutzt die Regierung Mitsotakis, um daran zu manifestieren, dass - wie Premier Kyriakos Mitsotakis am Sonntag bei seiner Pressekonferenz in Thessaloniki zur Lage der Nation mitteilte - „die Natur das Land attackiert“.

Mitsotakis nutzte zahlreiche eher mit einer Kriegsführung assoziierte Worte wie „Verteidigung“, „Schlacht“ und „Kampf“, um die Maßnahmen seiner Administration zu beschreiben. Tatsächlich wurde sogar das Militär eingesetzt, um tausende im Wasser verendete Nutztiere zu bergen und Menschen zu retten. „Vom ersten Moment an“, behauptet Mitsotakis und sagt damit die Unwahrheit. Es ist nicht die einzige Ungenauigkeit in den Regierungsaussagen.

Denn, obwohl „die Wissenschaft“ sich weitgehend einig ist, dass der Klimawandel das Unwetter begünstigt hat, wird auch angemahnt, dass es im Vorfeld bereits Warnungen und Mahnungen gegeben hat. Spätestens seit 2018 gibt es Kartenmaterial, dass entsprechende Fallstudien verwertet und ziemlich exakt die heutigen Überschwemmungsgebiete vorhergesagt hat. Die Karten sind auf der Internetpräsenz des Umwelt- und Energieministeriums veröffentlicht. Gemäß der dort benutzten Census-Erhebung von 2011 sind mehr als 700.000 Einwohner in Gefahr.

Angemahnt wurden Schutzmaßnahmen für den Überschwemmungsschutz. 2020, mitten in der Corona-Zeit hatte das Sturmtief „Ianos“ schon einmal die gesamte Region überflutet. Regierungschef war damals wie heute Kyriakos Mitsotakis. Er versprach 2020, dass der Staat alles tun würde, um das Land vor einer Wiederholung des Ereignisses zu schützen. Im Eilverfahren wurden erste Aufträge vergeben.

Charakteristisch ist, dass nach „Ianos“ bei Rovies, einem Ort auf der heute wie damals betroffenen Insel Euböa ein solches „Schutzwerk“ errichtet wurde, ein kleiner Schutzdamm aus Beton. Er brach nun komplett zusammen. In den Trümmern sind keinerlei Stahl-Armierungen erkennbar. Brücken brechen zusammen, Straßen werden unterspült, selbst die Hauptverkehrsader des Landes, die privatisierte Autobahn von Athen nach Thessaloniki blieb tagelang gesperrt. Sie wurde mittlerweile für PKW freigegeben, bei schweren LKWs sind vorherige Prüfungen erforderlich.

Griechenland verstößt weiterhin gegen die EU- Hochwasserrichtlinie„über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken““, da es die verbindlichen Bewirtschaftungspläne nicht ordnungsgemäß aktualisiert, um „die negativen Folgen für die menschliche Gesundheit zu verringern, die Umwelt, das kulturelle Erbe und die wirtschaftlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit Überschwemmungen“, bemängelt die Leiterin der WWF-Umweltpolitik, Theodota Nantsou. Sie erinnert daran, dass Griechenland dauerhaft und konsequent gegen das Umweltrecht der EU verstößt.

Solche Rügen und die Mängelliste der Wissenschaftler sind für die Regierung Grund genug, sofort zu handeln. Das staatliche Observatorium und der Wetterdienst, bislang unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen, werden dem Ministerium für Katastrophenschutz unterstellt. Vorher hatten sich Regierungspolitiker im Fernsehen lautstark darüber beschwert, dass die wissenschaftliche Kritik an der Regierungspolitik eine „Parteipolitisierung der Wissenschaft“ sei. Nun sollen die Wissenschaftler an die kurze Leine genommen werden.

Direktvergabe und Eilverfahren als Allheilmittel

Wie 2020 sollen auch diesmal im Eilverfahren und ohne Umweltverträglichkeitsprüfung die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen ohne Ausschreibung im Direktvergabeverfahren beauftragt werden. Was kann da schon schiefgehen? Zumindest die der Regierung nahestehenden Bauunternehmer haben nun Grund zum Feiern.

Regierungschef Mitsotakis erklärte zudem am Sonntag, dass obwohl sein Team alles richtig gemacht habe, eben nicht alle Bürger geschützt werden könnten. Als erster Schritt sollen sich nun sämtliche Unternehmer verpflichtend gegen Unwetterauswirkungen versichern. Private Wohnungsbesitzer werden zum Abschluss von einer freiwilligen Versicherung aufgerufen. Auch diese wird dann in Zukunft Pflicht werden.

Welche Versicherung dann „schwierige“ Kunden aufnehmen wird, darüber gab es keine Auskunft. Es dürfte zumindest für die Bewohner der 5000-Seelen Ortschaft Palamas schwierig werden. Denn die Ortschaft wurde nach einer Entscheidung von verantwortlicher Stelle ohne Vorwarnung geflutet. Mit einem geplanten Dammbruch, der Palamas unter Wasser setzte, hatten noch nicht näher identifizierte Verantwortliche verhindert, dass ein unkontrollierter Dammbruch die erhebliche größere Stadt Karditsa verwüstet hätte. Es gibt im „Kambos“, der großen Agrarregion in Thessalien mehrere Orte wie Palamas, die bei einer drohenden Flut von größeren Städten zu „Opfern“ werden könnten.

Bürgern, die ihr Obdach verloren haben, wird gern „schnelle, unbürokratische Hilfe“ versprochen. Nahezu jeder in Griechenland weiß, was von solchen Sprüchen aus dem Mund von Politikern zu erwarten ist. Schließlich leben Erdbebenopfer des verheerenden Bebens, das 1999 in Athen Tote forderte und Häuser einstürzen ließ, auch heute noch in Wohncontainern.

Raffgierige Krisengewinnler

Der „Kambos“ selbst steht für rund fünf Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts. Ein Viertel der gesamten Agrarproduktion des Landes wird hier produziert. Es kann bis zu fünf Jahre dauern, bis die Agrarproduktion hier wieder auf dem Stand von vor der Flut ist. Rund 71 Prozent des Schweinefleischs, die Hälfte der Ernten von Birnen, Äpfeln, Mandeln, Kastanien und Äpfeln werden hier produziert. Bei den wichtigsten Agrarprodukten, auch bei Feta-Käse, steht der Kambos für ein Drittel der landesweiten Produktion.

Hier sollte zudem verstärkt Weizen angebaut werden, um den Kostendruck des Krieges in der Ukraine nicht nur für Griechenland, sondern auch für die übrige EU abzumildern. Zudem droht den Viehzüchtern nun der Hungertod der überlebenden Tiere. Es fehlt schlicht an Viehfutter und auch an den Möglichkeiten, Lieferungen durch das zerstörte Straßennetz vor Ort zu bringen. Kurz, der Sturm „Daniel“ sorgt für Milliardenschäden.

Erste Folgen spüren die Verbraucher. Trinkwasser in Flaschen wurde von der Regierung nur in unzureichender Menge in die Katastrophenregion gebracht. Sofort gab es auf dem Schwarzmarkt Preise, die mehr als dem Zehnfachen des Ladenpreises im restlichen Land entsprechen. Erst nach Tagen „deckelte“ die Regierung per Ministerialbeschluss die Preise auf das Doppelte des preiswertesten Angebots im übrigen Land.

Bei den Agrarprodukten wurden schon in den ersten Tagen nach der Flut Preiserhöhungen von bis zu 75 Prozent registriert. Die Regierung gibt sich machtlos.

„Was heißt das konkret für mich?!“

Es ist absehbar, dass die Ernteausfälle in Thessalien auch im restlichen Europa zu Preiserhöhungen führen werden.

Derweil kappte der griechische Finanzminister Kostis Chatzidakis die sozialen Hilfsgelder mit denen ärmere Griechen vor den Folgen der Inflation geschützt werden sollten. Die Gelder, so Chatzidakis, werden nun für Thessalien gebraucht.

Der Staat verspricht, gegen Preiserhöhungen vorgehen zu wollen, doch auch dies ist nur eines der so oft gebrochenen Versprechen. Denn auch das Versprechen, die Bürger vor Fluten zu schützen, wurde trotz genannter Warnungen erneut gebrochen.

Medien und Ratingagenturen arbeiten „zuverlässig“

Mitsotakis, Chatzidakis und weitere Minister feiern trotzdem. Denn die Ratingagentur Moody’s hat Griechenlands Kreditwürdigkeit auf Ba1 aufgewertet. Mitsotakis spricht vom „Investment-Grade-Rating“, das nun endlich erreicht worden sei. Chatzidakis meinte gar, das würde den Schmerz der Flutopfer etwas mildern.

Niemand in der griechischen Presse widerspricht, obwohl dieser Vergleich für alle spürbar die Opfer verhöhnt. Es hat sich für Mitsotakis ausgezahlt, dass die Presse mit Millionensummen als Unterstützung während der CoVid-Pandemie bei Laune gehalten wurde.

Die Behauptung wird stehen gelassen, obwohl ein einfacher Blick in internationale Agenturmeldungen, wie zum Beispiel bei Associated Press, zeigt: „Aber damit bleiben die Anleihen des Landes immer noch eine Stufe hinter dem Investment-Grade-Rating, was den Weg für Käufe durch viele große globale Investoren frei machen würde.

Für Statistiker dürfte interessant sein, dass Griechenland noch im April 2010, kurz vor der offiziellen Pleite, von Moody’s ein A-Rating hatte...

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