Der frühere Vize-Justizminister Dimitris Papangelopoulos, vor seiner politischen Karriere selbst Staatsanwalt, steht unter Anklage. Papangelopoulos kam 2009 in die Politik, als ihn der damalige konservative Premier Kostas Karamanlis zum Chef des Geheimdienstes ernannte.

Im ersten Kabinett von Alexis Tsipras wurde er zunächst im März 2015 Generalsekretär des Justizministeriums und im Mai desselben Jahres ministerieller Staatssekretär. Später diente er vor den vorgezogenen Neuwahlen des September 2015 von August bis September in der kommissarischen Regierung von Vasiliki Thanou als Justizminister. Nach seinem Wahlsieg ernannte Tsipras Papangelopoulos zum stellvertretenden Justizminister. Auf diesem Posten blieb der Jurist bis zur Wahlniederlage von SYRIZA im vergangenen Juli.

Er war somit der Politiker, den Tsipras am längsten im Justizressort beließ. Der frühere konservative Papangelopoulos verärgerte die Politiker der Nea Dimokratia ein ums andere Mal, weil sich die Konservativen durch ihn verfolgt fühlten. Zu seiner Zeit als Mitarbeiter von Karamanlis sah es genau andersrum aus. Damals beschuldigte ihn die sozialdemokratische PASOK, dass er gezielt gegen Linke ermitteln würde.

Novartis-Affäre, Skandal oder Komplott?

Der Pharmariese Novartis soll, so behauptet nicht nur Papangelopoulos, in Griechenland Politikern, Funktionären und Ärzten im Gegenzug zu einer bevorzugten Behandlung geldwerte Vorteile gewährt haben. Schließlich, so die Argumentation, sei dies durch die für Novartis günstigen, staatlich bestimmten Verkaufspreise für die Medikamente von Novartis belegbar. Die Gegenseite kontert, dass der Umsatz von Novartis in den fraglichen Jahren gesunken, und nicht gestiegen sei. Die während der Amtszeit von Papangelopoulos ins strafrechtliche Visier der nominell unabhängigen Justiz geratenen Politiker beschuldigen Tsipras und seinen Minister einen Komplott inszeniert zu haben.

Endgültige, justiziabel verwertbare Beweise bleiben beide Seiten schuldig. Beide Seiten haben Kronzeugen aber keine zweifelsfrei unumstößlichen Fakten präsentiert. Es gibt nur Indizien und die Hemmnisse, die der griechische Gesetzgeber für die Strafverfolgung von Ministern in der Verfassung verankert hat.

Wann immer eine Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht gegenüber einem Minister findet, muss die Akte ans Parlament weitergeleitet werden. Dort entscheidet dann das Plenum, ob es eine parlamentarische strafrechtliche Verfolgung geben soll, oder nicht. Eine eigenständige strafrechtliche Verfolgung früherer Minister durch die Justiz ist nur dann möglich, wenn diese bei der Nutzung von illegal erworbenem Reichtum erwischt werden. Dies ist eine juristische Zusatzklausel, die während der Krise, also nach der Staatspleite 2010 entdeckt, und mit parlamentarischem Segen versehen wurde.

Der frühere Minister Akis Tsochatzopoulos kam wegen Geldwäsche ins Gefängnis. Formal kann er nicht als korrupter Politiker bezeichnet werden, da diese Straftat durch den Verfassungsartikel mit dem euphemistischen Namen „Gesetz zur Verantwortlichkeit von Ministern“ wegen Verjährung hinfällig ist.

Korruption und sonstige Amtsvergehen sind nach zwei Sitzungsperioden des Parlaments verjährt

Eine Änderung der Verfassungsartikel, die korrupte Politiker vor der Strafverfolgung schützen, ist in Arbeit. Sie wird jedoch durch das enge Korsett, mit dem die Verfassungsväter ihr Werk vor Änderung schützten, verzögert. Den Fehler, mit Korruptionsgeldern erwischt zu werden hat nach jetzigem Kenntnisstand keiner der in die Affäre involvierten Politiker begangen. Ohne manifestiertes Schmiergeld als Beweis, kann keiner der früheren Minister belangt werden. Korruption und sonstige Amtsvergehen sind nach zwei Sitzungsperioden des Parlaments verjährt.

Zur weiteren Strafverfolgung wäre zudem ein positiver Entscheid einer so genannten „Proanakritiki Epitropi“, einer vorläufigen Untersuchungskommission des Parlaments notwendig. Entscheidet diese auf weitere Strafverfolgung, dann wird es für die Involvierten kritisch. Die Staatsanwaltschaft, zuständig für Minister ist nur das oberste Gericht, der Areopag, ermittelt nach dem ersten Entscheid gegebenenfalls weiter. Am Ende des Procedere steht aber erneut die Politik, die in einem Sondergerichtshof die faktische Kontrolle behält.

Die Novartis-Affäre stand von Anfang an auf der politischen Agenda von Tsipras. Als mit Hilfe von Strafverfolgungsbehörden der Vereinigten Staaten im Februar 2018 ein Anfangsverdacht gegen eine Reihe von Politikern der Nea Dimokratia und der PASOK, aber auch gegen den kommissarischen Premier von 2012, Panagiotis Pikramenos vorlag, war „zufällig“ der damalige Regierungssprecher von Tsipras, „für ein persönliches Thema" beim Areopag. Den zufällig anwesenden Journalisten mache er Andeutungen, bevor die Richter des Areopags die Akten wie vorgeschrieben, „ungelesen“, ans Parlament weiter leiteten.

Parteipolitische Interessen: Fehlende Namen auf der Anklageliste

Papangelopoulos jubelte im Parlament darüber, dass seine Regierung den „größten Skandal der Metapoliteusi“, also der Periode seit dem Fall der Militärdiktatur, aufgedeckt habe. Unter anderen mussten sich Pikramenos, der frühere Premier Antonis Samaras, der frühere Vize-Premier Evangelos Venizelos, der Vize-Vorsitzende der Nea Dimokratia Adonis Georgiadis, der Zentralbankchef und frühere Finanzminister Yannis Stournaras und der mehrfache Minister Andreas Loverdos der Abstimmung zur Strafverfolgung im Parlament stellen. Wie nicht anders zu erwarten, beschloss die Regierungsmehrheit im Parlament die Strafverfolgung. Auffällig war, dass zwei prominente Namen fehlten.

Sowohl Mariliza Xenogiannakopoulou als auch Panagiotis Kouroublis waren in der Periode, für welche die Affäre untersucht wird, mit dem Gesundheitsministerium befasst. Sie vertraten die PASOK. Mittlerweile jedoch waren sie für SYRIZA in der Regierung aktiv. Dieser Umstand dient vielen Kritikern, nicht nur den Anhängern der Nea Dimokratia, als Aufhänger, hinter der Affäre um Novartis parteipolitische Interessen von Tsipras und SYRIZA zu vermuten.

Wer ist „Rasputin“? Über den Premier soll das Wahlvolk entscheiden und nicht die Richter…

Samaras schwor bereits damals Rache. Er würde bis zum bitteren Ende gegen die Initiatoren des Komplotts vorgehen, versprach er. Samaras sprach von Anfang an aus, was andere nur verklausuliert und leise munkelten. Rasputin, meinte Samaras zu wissen, ist Dimitris Papangelopoulos. Als „Rasputin“ benannte der Kronzeuge der Angeklagten, ein Staatsanwalt, den Drahtzieher des von ihm entdeckten, mutmaßlichen Komplotts.

Mehrere der Angeklagten haben gegen „Rasputin“ Anzeige erstattet. Darunter befindet sich auch Andreas Loverdos, dessen Fall als einziger der zehn prominenten Angeklagten noch nicht zu den Akten gelegt wurde. Jede Anzeige gegen Papangelopoulos wird von der Staatsanwaltschaft des Areopags einzeln und „ungelesen“ ans Parlament weiter geleitet.

Rein formal liegen nun die Fälle Loverdos und Papangelopoulos dem Parlament vor. Einen dritten, auch in der Anzeige von Samaras beschuldigten Politiker, Alexis Tsipras, möchte Mitsotakis nicht verfolgen lassen. Über frühere Premiers soll das Wahlvolk entscheiden, nicht die Richter, meint Mitsotakis.

Während die Akte Loverdos in den Parlamentsbüros verstaubt, möchte die Regierung den Fall Papangelopoulos schnellstens ins Parlament bringen. Als Zeugen und Kläger treten ausgerechnet jene auf, die Papangelopoulos hinter Gitter bringen wollte. Die „Proanakritiki Epitropi“, ein Ausschuss, der mehr Rechte als ein einfacher Untersuchungsausschuss hat und im Grunde genommen den Parlamentariern staatsanwaltschaftliche Befugnisse überträgt, soll für Papangelopoulos einberufen werden. Die Mehrheit im Ausschuss hat dabei die jeweilige Regierung. Nun spricht Papangelopoulos von einer politischen Intrige gegen seine Person.

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