Von den Worten, die deutsche Politiker angesichts eines wahrhaft historischen Jubiläums fanden, dürfte kaum etwas in Erinnerung bleiben.“, schrieb die Neue Zürcher Zeitunganlässlich der Feierlichkeiten zum 9. November zutreffend. Dafür sind die Töne, die jetzt wieder eine aggressivere Außen- und Militärpolitik der Bundesrepublik und der EU propagieren umso schriller zu vernehmen.

Von der Leyens Muskelspiele

Ursula von der Leyen - die designierte EU-Kommissionspräsidentin - fiel diesbezüglich schon am Freitag vergangener Woche besonders unangenehm auf, was an sich schon ein Kunststück darstellt, als sie in einer Rede vor der Konrad-Adenauer Stiftung davon schwafelte, "Softpower allein" reiche "heute nicht mehr aus".

Weiter hieß es aus dem Munde von von der Leyen: "Europa muss auch die 'Sprache der Macht lernen'." Einerseits gelte es deshalb, "eigene Muskeln ... in der Sicherheitspolitik" aufzubauen; andererseits müsse die Union mit "Blick auf die äußeren Interessen Europas strategischer werden."

Die Politikerin verschwieg allerdings, dass sich diese Machtentfaltung weiter unter der Schirmherrschaft der NATO vollziehen soll, nicht etwa im Rahmen einer europäischen Strategie, obwohl das Wort Europa in ihrer Rede inflationär verwendet wurde. Gemäß interner Studien wird die Europäische Kommission diese Vorhaben mit zweistelligen Milliardensummen umzusetzen versuchen. Demokratisch legitimiert sind diese Abenteuer nicht, genauso wenig wie die EU-Kommission selbst.

Maas im Schlepptau der NATO-Strategie

Außenminister Heiko Maas bläst unterdessen ins das gleiche Horn und zerreißt die Kritik des französischen Präsidenten Macron an der NATO, die von diesem als „hirntot“ analysiert wurde, indem er die Behauptung aufstellte „ohne die Vereinigten Staaten" seien "weder Deutschland noch Europa im Stand, sich wirkungsvoll zu schützen"; deshalb sei "eine Entkopplung" von den USA "gefährlich" .

Bundestag billigt kostspielige Rüstungsprojekte

Unterdessen laufen die Vorbereitungen für eine massive Aufrüstung auf vollen Touren. In der vergangenen Woche hatte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages Rüstungsprojekte im Wert von 560 Millionen Euro gebilligt, die nicht etwa der von von der Leyen heruntergewirtschafteten Bundeswehr zur Verfügung stehen, sondern für die NATO-"Speerspitze" (Very High Readiness Joint Task Force, VJTF) benötigt werden. Die Kosten hierfür belaufen sich auf mehr als 115 Millionen Euro.

Fazit

Diese Tendenzen sind Ausdruck einer akuten Sinn- und Führungskrise des Westens, 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Regime in Mittel-Ost-Europa. Die NATO verlor ihren größten Feind – und damit auch ihre Existenzberechtigung. Es ist noch nicht allzu lange her, da sahen sich Moskau und die NATO als Partner, auch wenn das Verhältnis nie ungetrübt war. Inzwischen sind die alten Feindbilder aber zurückgekehrt. Der Westen verliert weltpolitisch an Bedeutung. Der Phase des Niederganges scheint man mit einer massiven Aufrüstung zu begegnen, als könnte man sich so dem historischen Prozess vom Aufstieg und Fall großer Imperien entziehen.

„Was heißt das konkret für mich?“

Die verzerrte Wahrnehmung der politischen Gegner ist nicht ungefährlich. Es kommt jetzt darauf an, die Entwicklung weiter intensiv zu beobachten und von den gewählten Volksvertretern eine Umkehr einzufordern. Diese wird nur dann gelingen, wenn sich in der Bevölkerung ein entsprechendes Bewusstsein verbreitet. Dafür sind wir alle verantwortlich.

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