Der 5. Dezember rückt mit jedem verstreichenden Tag ein Stückchen näher. Ab diesem Tag soll das Ölimportembargo der Europäischen Union gegenüber der Russischen Föderation in Kraft treten. Ab Februar nächsten Jahres sollen dann auch Destillate einem Bann unterliegen.

Händler an den Rohöl- und Energiemärkten sind sich momentan uneins, ob der Preis für die Ölsorte Brent diese unmittelbar bevorstehende Entwicklung vollauf widerspiegelt oder nicht. Einerseits deuten führende Indikatoren auf eine sich fortsetzende Abschwächung der globalen Wirtschaft hin, die sich im Jahr 2023 zusätzlich zu intensivieren droht.

OPEC+ revidiert Nachfrage-Prognose erneut nach unten

Nachdem die Organisation der OPEC+ hierauf mittels der jüngsten Bekanntgabe zu einer ab diesem Monat in Kraft getretenen Förderkürzung in Höhe von zwei Millionen Fass Rohöl pro Tag reagierte, haben die OPEC+-Nationen ihre Prognose zum Weltölverbrauch ein weiteres Mal nach unten revidiert.

Sich mehrende Sorgen vor dem potenziellen Eintauchen in eine weltweite Rezession haben sich unter Finanzmarktanalysten und Unternehmenslenkern im Verlauf der vergangenen Monate intensiviert. Die weltweite Erdölnachfrage könnte aus diesem Grund weiter sinken – und mit einer tendenziell rückläufigen Nachfrage auch die Preise.

Voneinander abweichende Sichtweisen

Doch es gibt auch eine Vielzahl an Stimmen, die von einer solchen Sichtweise abweichen. Denn alle Welt fiebert einer „Normalisierung“ der Wirtschaftsbedingungen – und damit einer Lockerung der „No-Covid-Strategie“ – in der Volksrepublik China entgegen.

Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping war in seiner Heimat zuletzt vielerorts in die Kritik geraten. Grund hierfür ist dessen Festhalten an der „No-Covid-Strategie“. Die chinesische Wirtschaft und deren Wachstum wird auf diese Weise großen Herausforderungen ausgesetzt.

Wie gestern vermeldet, sind die Immobilienpreise in der Volksrepublik China auch im Monat Oktober weiter gesunken. Die Pekinger Regierung reagierte vor wenigen Tagen mittels der Bekanntgabe zu einer unerwarteten Lockerung mancher Restriktionen im Immobiliensektor auf diese anhaltende Entwicklung. Zeitgleich wurden angeschlagenen Projektentwicklern im Immobilienbereich finanzielle Hilfen durch den Staat in Aussicht gestellt.

Eine an den Finanzmärkten erhoffte Lockerung der „No-Covid-Strategie“ könnte mit dem Versuch einer staatlichen Wiederankurbelung der heimischen Wirtschaft einhergehen, wodurch die chinesische Erdölnachfrage wieder auf bedeutsame Weise steigen würde.

Des Weiteren weisen Beobachter, Kommentatoren und Finanzanalysten auf nach wie vor nicht behobene Störungen innerhalb der globalen Energielieferketten hin. Angesichts dieser anhaltenden Probleme drohten die Preise für Energie – allen voran im Bereich der fossilen Brennstoffe – langfristig hoch zu bleiben.

Globale Nachfrage nach Tankerschiffen nimmt weiter zu

Hinzu gesellt sich die Tatsache, dass die weltweite Nachfrage nach Flüssiggastankern nicht nur im EU-Raum, sondern auch auf dem asiatischen Kontinent weiter ansteigt. Einer der Hauptgründe hierfür leitet sich aus den durch die Europäische Union gegenüber Russland verhängten Finanz- und Wirtschaftssanktionen ab.

Da angesichts der Sabotage der beiden Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 (lediglich eine Röhre der Pipeline Nord Stream 2 ist noch intakt, jedoch nicht zertifiziert) kein Erdgas aus Russland durch diese Pipelines fließt, stehen die Länder der Europäischen Union in einem sich verschärfenden Wettbewerb um Flüssiggastanker mit asiatischen Nationen.

Selbstverständlich treibt diese Situation die Preise an diesen Märkten weiter. Kritiker warnen davor, dass diese Situation sich in den nächsten Monaten noch weiter verschlimmern wird, da das russische Erdölembargo in der Europäischen Union in wenigen Wochen in Kraft treten wird.

In einem im September auf der Seite von Bloomberg publizierten Bericht hieß es hierzu, dass unter Schifffahrts- und Transportunternehmen vor dem Inkrafttreten des Erdölembargos in der Europäischen Union lange schon ein Run auf Tanker der verschiedensten Modelle eingesetzt habe, um russisches Erdöl nach dem erwähnten Stichtag in andere Weltregionen zu befördern.

Unter europäischen Käufern ließ sich in den letzten Monaten ein wahrer Run auf russisches Erdöl und Destillate beobachten, um sich vor dem Inkrafttreten des EU-Embargos auf eine ausreichende Weise einzudecken.

Insbesondere die globalen Tankermärkte haben von dieser Situation in den letzten Monaten hochgradig profitiert. An diesen Märkten sind die Angebotspreise in die Höhe geschossen – und damit auch die Frachtkosten für Erdöl und Destillate.

In einem im August publizierten Bericht auf der Seite von CNBC hieß es, dass sich an dieser Situation in absehbarer Zeit auch nichts ändern wird. Denn nur wenige Tankerschiffe seien in den vergangenen Jahren neu gebaut worden.

„Neukalibrierung des globalen Ölhandelsökosystems“

Erschwerend kommt hinzu, dass die Nachfrage an den globalen Schiffstankermärkten bereits seit den Frühsommermonaten das höchste Niveau innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte erreicht hatte. Seitdem sind die Angebots- und Vermietungspreise angesichts einer nach wie vor extrem hohen Nachfrage weiter gestiegen.

Vor einigen Wochen hatte die dänische Schifffahrtsgesellschaft Torm mitgeteilt, dass es spätestens ab Februar 2023 zu einer „Neukalibrierung des globalen Ölhandelsökosystems“ kommen wird. In vielen Bereichen ließe sich dieser Prozess bereits zum aktuellen Zeitpunkt beobachten.

Dieser Neukalibrierungsprozess sieht wie folgt aus: Eine wachsende Anzahl von Tankern wird zukünftig Märkte außerhalb des EU-Raums mit Erdöl und Destillaten aus Russland beliefern.

Gleichzeitig werden die Öl- und Destillatlieferungen an die Länder der Europäischen Union aus Nationen wie der Volksrepublik China, Indien oder den Vereinigten Staaten von Amerika auf eine bedeutsame Weise zunehmen.

Zu erwähnen bleibt, dass zuvor durch die Volksrepublik China und Indien aus der Russischen Föderation importiertes Erdöl jeweils vor Ort raffiniert wird, um in einem zweiten Schritt an die Europäische Union in Form von Destillaten an die Europäische Union und andere Länder mit lukrativen Margen reexportiert zu werden.

Verfügen die USA mittelfristig über ausreichende Kapazitäten?

Ob Amerika über ausreichende Kapazitäten verfügt, um die Europäische Union auch in der Zukunft in einem ausreichenden Maße mit Flüssiggas, Erdöl und Destillaten zu versorgen, sei dahingestellt. Gerade in diesen Tagen mehren sich Berichte in amerikanischen Medien, laut denen die heimische Versorgungslage im Dieselbereich äußerst angespannt zu sein scheint.

In einem Mitte September publizierten Bericht der Nachrichtenagentur Reuters, der Bezug auf die Ratingagentur S&P genommen hatte, hieß es, dass für diese Situation ein rekordhoher Rückgang der globalen Raffinieriekapazitäten verantwortlich zeichne. Dieser Rückgang habe sich zwischen März 2020 und Juli 2022 auf gut 3,8 Millionen Fass Rohöl pro Tag belaufen.

Während die globalen Raffineriekapazitäten in diesem Zeitraum gesunken sind, habe sich die Destillatnachfrage um durchschnittlich 5,6 Millionen Fass pro Tag erhöht. Die Probleme an den Angebotsmärkten werden anhand dieser Lücke nur allzu ersichtlich.

S&P warnte davor, dass diese Situation noch bis Ende des kommenden Jahres anhalten wird. Eine Verbesserung werde sich zu diesem Zeitpunkt auch nur dann einstellen, falls es bis dahin nicht zu weiteren Verzögerungen beim Aufbau von neuen Raffineriekapazitäten in Höhe von zwei Millionen Fass pro Tag kommen sollte.

In den westlichen Industrieländern – allen voran in den Vereinigten Staaten – mangelt es unter vielen Konzernen und Unternehmen an der Bereitschaft zu wachsenden Investitionen in die heimischen Raffineriekapazitäten, weil die politisch forcierte Hinwendung zu alternativen Energieformen wie Wind und Solar den potenziellen Bau von neuen Raffineriebetrieben in wenigen Jahren zu Investitionsruinen zu machen drohe.

Verschärfung der Krise an den Energiemärkten?

Eine wachsende Anzahl von Analysten an den Finanz- und Rohstoffmärkten warnt aus diesem Grund schon seit einiger Zeit vor einer sich potenziell weiter verschärfenden Krise an den Energiemärkten. Aufgrund eines restringierten Angebots könnte die Erschwinglichkeit von Destillaten wie Benzin und Diesel in den nächsten beiden Jahren weiter abnehmen.

Heißt im Umkehrschluss, dass wachsende Bevölkerungsteile sich ein Auftanken ihrer Autos und Fahrzeuge finanziell vielleicht nicht mehr – oder nur noch in einem restringierten Umfang – werden leisten können.

Die Russische Föderation hatte bereits im Sommer bekanntgegeben, sich angesichts des bald einsetzenden Einfuhrembargos in der Europäischen Union neuen Kunden auf dem asiatischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Kontinent zuzuwenden.

Die Abhängigkeit von lebenswichtigen Energieeinfuhren der Europäischen Union droht damit nicht nur von den Vereinigten Staaten, sondern auch von Indien, der Volksrepublik China und dem Mittleren Osten zuzunehmen.

Es winken Arbitrage-Geschäfte mit hohen Margen

Die vorherige Abhängigkeit von der Russischen Föderation, die dem europäischen Kontinent Energie jahrzehntelang auf zuverlässige Weise und im weltweiten Vergleich sehr günstigen Preisen geliefert hatte, wird einfach nur durch andere Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber anderen Nationen ersetzt.

Um von dieser sich abzeichnenden Situation finanziell zu profitieren, könnten selbst Staaten wie Saudi-Arabien in der Zukunft weitaus mehr Destillate aus der Russischen Föderation importieren, um Benzin und Diesel dann zu höheren Preisen an die Länder der Europäischen Union zu reexportieren. Ob das alles wirklich Sinn macht?

In einem anderen durch die Nachrichtenagentur Reuters im September publizierten Bericht wurde zudem darauf aufmerksam gemacht, dass es schlichtweg nicht genug Diesel und Kerosin in den Vereinigten Staaten gäbe, um weiterhin Destillate in einem hohen Ausmaß an die Europäische Union zu exportieren.

Zuletzt hatte die amerikanische Energieministerin Jennifer Granholm in einem Brief an heimische Raffineriebetriebe und Energieunternehmen darauf aufmerksam gemacht, dass es in den Wintermonaten zu einer – falls nötig – staatlich verordneten Reduzierung von Exporten in diesem Bereich kommen könnte.

Nach wie vor bedient sich die Biden-Administration der strategischen Petroleumreserven des Landes, um mittels Freigaben die aktuelle Angebotsnot an den Energiemärkten zu lindern. Wie lange sich diese Situation angesichts eines Rückgangs dieser Reserven auf mehr als 40-Jahres-Tiefs noch aufrechterhalten lassen wird, bleibt abzuwarten.

Spätestens wenn die US-Regierung mit dem Zweck einer Wiederauffüllung der strategischen Petroleumreserve als Käufer an den Erdölmärkten wird auftreten müssen, dürfte sich die Preisentwicklung an den Erdölmärkten – unter zusätzlicher Berücksichtigung des demnächst im EU-Raum geltenden Direkteinfuhrverbots für russisches Erdöl – erneut verschlimmern.

Diese Zusammenfassung für CK*Wirtschaftsfacts von Roman Baudzus nimmt unter anderem Bezug auf einen Bericht auf der Seite von oilprice.com.

„Was heißt das für mich konkret!?“ (Roman Baudzus)

Konkret heißt das, dass Energie teuer bleiben wird und möglicherweise bald noch teurer zu werden droht. Wie sich diese Situation beispielsweise auf Deutschland auswirkt, lässt sich anhand dieser Warnung des Verbands der Chemischen Industrie ablesen:

Chemieverband warnt vor Produktionsverlagerungen ins Ausland

Ein Prozess, der längst eingesetzt hat. Erinnert sei nur an BASF und das anhaltende Vertrauen der Konzernführung in den energiegünstigeren Produktionsstandort China…

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