Endprodukt ist eine aus meiner Sicht sehr sehenswerte und kurzweilige Dokumentation, die den Finger abseits von Political Correctness endlich einmal in die offenen Wunden einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft legt, die sich in weiten Teilen in Sentimentalitäten, Rückwärtsgewandheit und tiefer Enttäuschung über die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen suhlt.

   

   

Die in der Lanz-Dokumentation durch einen Interviewten getroffene Aussage, laut der Großbritannien nur noch als Britannien zu bezeichnen sei, lässt tief blicken im Hinblick auf die kümmerlichen Reste des Selbstbewusstseins und die Wertschätzung, die dem eigenen Land unter weiten Teilen der englischen Gesellschaft noch entgegengebracht werden.

„`Great` ist hier schon lange nichts mehr!“, wie das Fazit des Befragten lautet. Auf diesen Gedanken lässt sich auch leichterdings selbst kommen, wenn Markus Lanz Bilder aus dem englischen Heartland für sich selbst sprechen lässt.

Hierfür begab er sich unter anderem in den einst boomenden Nordosten Englands, wo der jahrzehntelange Niedergang der Stahl-, Kohle- und Schiffbauindustrie eine ansässige Bevölkerung zurückgelassen hat, die sich inzwischen fremd – und vor allem abgehängt – im eigenen Land fühlt.

Auf welche Weise in den hiervon betroffenen Region Armut, Verelendung und ein Anstieg der Kriminalität um sich greifen, hat Markus Lanz in seiner Dokumentation auf einer für das staatliche deutsche Fernsehen ungewohnten Weise zu einem seiner Hauptschwerpunktthemen in der Berichterstattung gemacht.

Der Bericht blickt endlich einmal nicht aus Perspektive des herrschenden Establishments und der Europäischen Union auf die (verheerenden) Entwicklungen an der englischen Gesellschaftsbasis, sondern überlässt das Wort und zu treffende Einschätzungen eben jenen Menschen, die durch einen vierzigjährigen Wandel an den Rand der Gesellschaft gedrückt worden sind.

Thematisiert wird unter anderem auch der tiefe Graben, der traditionell zwischen dem britischen Establishment (der Politik) und den regierten Untertanen im Königreich besteht. Wie sehr diese Untertanen mittlerweile die Nase voll von den vorherrschenden Zuständen und dem andauernden Überfahren ihrer ureigensten Interessen durch das politische Establishment zu haben scheinen, geht aus der Dokumentation ebenfalls sehr prägnant hervor.

Interessant auch, dass Markus Lanz bei seinem Besuch im nicht unweit der Hauptstadt London gelegenen Luton fündig auf der Suche nach Parallelwelten und -gesellschaften im Vereinigten Königreich wird, womit auch das Gefühl einer massiven Überfremdung unter den Briten an der gesellschaftlichen Basis in dessen Dokumentation nicht ausgespart, sondern ganz im Gegenteil vielmehr bildhaft hervorgehoben wird.

Beim Zusehen habe ich mich an eine andere Dokumentation erinnert gefühlt, die Michael Moore in den Vereinigten Staaten einst im Jahre 1989 produziert hatte.

In diesem zeitlosen Filmbericht ging es damals schon um ähnliche Entwicklungen in den USA. Moore thematisierte den Niedergang der amerikanischen Autoindustrie anhand unzähliger Werksschließungen durch den ehemaligen General-Motors-Chef Roger Smith in den dereinst boomenden Autometropolen Detroit – und Moores Heimatstadt – Flint. Hier ein Ausschnitt aus Moores Filmbericht Roger and me aus dem Jahr 1989:

    

    

Interessant aus meiner Sicht, dass Moore sich damals auch unter das Establishment mischte, um Antworten auf seine Fragen nach dem Warum (zum Industrieabbau in den Vereinigten Staaten) zu erhalten. Die Antwort unter einem der Befragten lautete damals wie folgt:

„Wir haben etwas begonnen, was wir auch zu Ende bringen werden. Wir haben eine neue industrielle Revolution in Gang gesetzt – und zwar in einer Form, die in der Geschichte der Menschheit ungesehen ist. Egal ob Autos oder Stahl, wir haben das Rad neu erfunden…“

Die Ergebnisse dieser „neuen industriellen Revolution“ kann sich heute nach dreißig Jahren jedermann in den USA und im Vereinigten Königreich selbst anschauen. Brach liegende und vollkommen verrottete Industrielandschaften, eine verelendende Lokalbevölkerung, deren ausgebildete Köpfe lange schon weggezogen sind sowie ein staatlicher Wohlfahrts- und Sozialstaat, der die – laut Hillary Clinton – „Deplorables“ am Dauergängelband führt.

Mit Markus Lanz´ Dokumentation England – ungeschminkt schließt sich aus meiner Sicht der dreißigjährige Kreis zu Michael Moores Roger and me. Wer immer noch nach Gründen für das Phänomen Donald Trump in den USA oder der Brexit-Rebellion unter weiten Teilen der britischen Gesellschaft suchen sollte, wird unter Zuhilfenahme der beiden Dokumentationen gewiss fündig.

Interessant auch, dass Markus Lanz seine eigenen Beobachtungen an der Gesellschaftsbasis in England jeweils durch Sir Paul Collier, Professor der Ökonomie an der Universität Oxford, kommentieren lässt. Collier schlussfolgert in diesem Zusammenhang unter anderem wie folgt:

„London brüstet sich zwar damit, sehr produktiv zu sein, ist allerdings in Bezug auf die Steigerung der Lebensqualität aller Bürger sehr ineffizient. Tatsächlich schneidet London landesweit sogar am Schlechtesten ab, wenn man die Lebensqualität mit dem vergleicht, wie viel dort erwirtschaftet wird. Wir brauchen eine Politik, die nicht nur London, sondern die schwachen Wirtschaftsstandorte im Land stärkt, und so dafür sorgt, dass auch dort der Lebensstandard gesteigert wird. Aber der Staat hat die untere Hälfte der Gesellschaft aus dem Blick verloren. Er (der Staat) hat aus dem Blick verloren, dass Menschen eine Heimat brauchen, und dass es ihnen wichtig ist, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Auf der anderen Seite gibt es eine gebildete, urbane Oberschicht, die sich dieser Verantwortung einfach entzieht.“

Mit diesem Zitat möchte ich meinen heutigen Bericht abschließen, um Markus Lanz an dieser Stelle für seinen Einsatz und seinen medialen Beitrag zu danken. Es braucht ein MEHR an solchen Beiträgen in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die sich mittels den Bürgern auferlegten Gebühren finanzieren.

Was nicht mehr benötigt wird, ist eine Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die an der sich darstellenden Lebensrealität unter weiten Teilen der europäischen Gesellschaften – wie auch jenen des Auslands – vorbei gehen und Dinge aus dem Blickwinkel der rosaroten Brille darstellen.

Blicken Sie in diesen Tagen nach Venezuela, nach Ecuador, nach Chile, nach Spanien, nach Großbritannien, in die Türkei, nach Syrien, nach Hongkong, um nur einige Brennpunkte in unserer Welt explizit zu benennen – um sich ein Gespräch in Erinnerung zu rufen, dass ich im Jahr 2014 mit Trendforscher Gerald Celente über diese – und andere – Themen geführt hatte.

Wie Gerald damals schon erklärte:

Der Klassenkrieg tobt in Bulgarien, in Großbritannien, in Deutschland, in den USA, in Georgien, in der Türkei und so vielen anderen Staaten rund um den Globus – ja eigentlich überall auf der Welt!“

Meine Bitte, die ich Ihnen gegenüber äußern möchte, lautet aus diesem Grunde, sich nicht in diese gesellschaftliche Spaltung hineinziehen zu lassen. Verlieren Sie vor Andersdenkenden und Menschen, die unsere Welt aus einem anderen Blickwinkel betrachten, nicht den Respekt, sondern unternehmen Sie bitte den häufig anstrengenden Versuch, sich mit Andersdenkenden auf Augenhöhe zu begegnen anstatt sich gegenseitig niederzuschreien.

Persönlich erweckt es in mir den Eindruck, als ob das „neoliberale Projekt“ der politischen und wirtschaftlichen Eliten, das einst einmal durch breite Gesellschaftsschichten mitgetragen worden sein muss, mittlerweile an seine Grenzen gestoßen zu sein scheint. Wer den Bogen von Michael Moores Roger and me aus dem Jahr 1989 bis hin zu Markus Lanz´ England – ungeschminkt aus dem Jahr 2019 spannt, kann sich eines solchen Gedankens nur noch schwer entziehen.

Diese Erkenntnis wird uns wohl noch eine Menge an Problemen in der Welt verursachen, doch vergessen Sie darüber bitte nicht, dass hierin auch vielerlei Chancen und Möglichkeiten schlummern, UNSERE Welt in der Zukunft auf eine andere – nämlich menschenwürdigere – Art und Weise zu gestalten. Beim gegenseitigen Umgang miteinander fängt alles an.

Aufgrund jener Zeiten, durch wir als Erdenbürger sowie Brüder und Schwestern auf Sicht werden hindurch gehen müssen, scheint es keine Alternative mehr zu geben, um uns in Richtung einer solchen Zukunft zu bewegen. Ich bediene mich hierbei ganz bewusst des Begriffs der Brüder und Schwestern, weil wir in unserer alles mit allem zusammenhängenden Welt genau das sind. Nichts und niemand existiert in unserer Welt getrennt voneinander.

Jede Art der untereinander herrschenden Trennung ist künstlich (herbeigeführt)! Denn eine in sich gespaltene Gesellschaft lässt sich seit jeher weit einfacher kontrollieren als eine in sich geschlossene Gesellschaft.

Es obliegt Ihnen selbst und allein, aus diesem Kreislauf des gegenseitigen Verurteilens und Misstrauens auszusteigen. Hierin liegt der Kern für gesellschaftliche Veränderungen, die weiten Teilen unserer Gesellschaft gewiss gut tun würden. Jedermann kann durch sein eigenes Verhalten hierzu seinen ganz individuellen Beitrag leisten! Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

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