Berichte in westlichen Medien, in denen sich die Rufe nach einem gegenüber der Russischen Föderation zu verhängenden Energie-Embargo durch die Europäische Union mehren, reißen in diesen Tagen nicht ab.

Hingewiesen wird in diesen Berichten unter anderem auch darauf, dass sich Deutschland mittlerweile unter den wenigen verbliebenen Mitgliedsländern der Europäischen Union befinde, die sich einer solchen Entscheidung widersetzten.

Während sich die Regierungspartei der Grünen mehrheitlich für die Verhängung eines solchen Gas-Embargos gegenüber Russland ausspricht, hatte Finanzminister Christian Lindner vorgestern noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass Deutschland sich einem solchen Boykott aufgrund der daraus im eigenen Land potenziell resultierenden Folgen (und Schäden) nicht anschließen wird.

Nun, aus Sicht der extremen deutschen Abhängigkeit von russischen Gaseinfuhren ist dies wohl nur allzu verständlich. Ob sich an der österreichischen Sichtweise inzwischen etwas geändert hat, vermag ich nicht zu sagen, da ich die vor Ort geführten Debatten in den letzten Tagen nicht punktgenau verfolgt habe.

Wie groß ist die Bereitschaft zur Zerstörung der gesamten deutschen Volkswirtschaft?

Tatsache ist, dass die größten deutschen Konzerne, darunter BASF oder auch Siemens Energy, zuletzt mittels deutlichen Worten vor einer einseitigen Verhängung eines solchen Gas-Embargos gegenüber der Russischen Föderation gewarnt hatten. In diesem Kontext wurde die Frage aufgeworfen, ob „wir denn dazu bereit sind, unsere gesamte Volkswirtschaft zu zerstören“?

Man möchte sich lieber keine Vorstellungen darüber machen, auf welche Niveaus die Gas- und Ölpreise – und damit auch die Benzin- und Dieselpreise – in den nächsten Wochen und Monaten noch klettern könnten, falls es tatsächlich auf europäischer Ebene zu einer solchen Entscheidung kommen sollte.

Meine Frage lautet: Kann und darf es im Interesse der deutschen Industrie und Bevölkerung zur Verhängung eines solchen Gas-Embargos kommen, wenn berücksichtigt wird, dass das wichtigste Industrieland im Herzen Europas einer damit potenziell verbundenen Schockstarre ausgesetzt würde?

Kann und darf es in unser aller Interesse sein, Deutschland in eine Art vorindustriellen Zustand zu versetzen? Oder haben sich weite Teile der deutschen Bevölkerung vielleicht tatsächlich mit dem Ausblick abgefunden, zukünftig vielleicht wieder mit einer Postkutsche von Berlin nach Hannover oder von Frankfurt nach München zu reisen?

Lastenfahrräder anstelle von LKWs

Wenn über den Verlauf der vergangenen Monate wiederholt Aufrufe zu und Forderungen nach einer verstärkten Nutzung und finanziellen Förderung von Lastenfahrrädern aufkamen, so waren es allen voran Unternehmen der deutschen Bauindustrie, die sich fragten, ob solche Debatten und Diskussionen tatsächlich ernst gemeint sein könnten.

Denn auf welche Weise ließen sich mittels Lastenfahrrädern zentnerschwere Bauausrüstung und Vorprodukte zum Bau von Häusern, Wohnungen und Straßen an den jeweiligen Ort der Aktivitäten verbringen?

Es scheint sich vielerorts der Eindruck zu vermitteln, als ob diese Debatten und Diskussionen inzwischen völlig losgelöst von den realen Begebenheiten in weiten Teilen der europäischen und deutschen Wirtschaft geführt würden.

Zu bedenken bleibt ebenfalls, welche Auswirkungen die potenzielle Verhängung eines Gas-Embargos gegenüber der Russischen Föderation auf die allgemeine Versorgungssicherheit im Energiebereich in der Europäischen Union zeitigen würden.

Reicht es nicht bereits, dass Landwirte und Bauernverbände sich darüber beklagen, vor der diesjährigen Aussaatsaison keine ausreichenden Düngemittel, Nitrate oder Phosphate für den eigenen Anbau mehr geliefert zu bekommen? Aus aktuellen Berichten geht zudem hervor, dass sich die Preisrally im Düngemittelsektor aufgrund der nach wie vor höchst unsicheren Lage fortsetzt.

Moskauer Kreml: Großbritannien erhält kein russisches Gas mehr

Wie dem auch sei, anhand eines Blicks nach Großbritannien lässt sich vielleicht in ungefähr abschätzen, zu welchen diplomatischen Verwerfungen es möglicherweise schon bald auch zwischen der Kreml-Regierung und der Europäischen Union kommen könnte.

Denn der Moskauer Kreml hatte am vergangenen Samstag angekündigt, dass der britische Energiekonzern Shell sich fortan nicht mehr dazu in der Lage sehen wird, russisches Erdgas zu erwerben.

Für die harte Haltung des Kremls machen Moskauer Regierungsoffizielle die Verhängung von anti-russischen Sanktionen durch die Londoner Regierung verantwortlich. Gaslieferungen der Russischen Föderation an Großbritannien sehen sich nun also ausgesetzt, ganz so, als ob das Vereinigte Königreich nicht schon seit geraumer Zeit auf eine immense Energiemarktkrise in der Heimat blicken würde.

Der Gouverneur der Bank of England, Andrew Bailey, hatte im Rahmen einer Gesprächsrunde in der vergangenen Woche vor einer Zuhörerschaft des belgischen Think Tanks Bruegel erklärt, dass sein Land einer „stagflatorischen Hölle“ins Auge blicke. Hiermit verbundenen seien sich abzeichnende Wohlstandsverluste und ein Rückgang des allgemeinen Lebensstandards in Großbritannien.

Es lässt sich durchaus davon ausgehen, dass sich diese „stagflatorische Hölle“ nach der in Moskau getroffenen Entscheidung jetzt gar zu einem noch größeren Höllenfeuer ausweiten könnte.

London gibt den Frontrunner – Der Preis ist heiß!

Der Sprecher des Moskauer Kremls, Dmitri Peskow, hatte am Wochenende erklärt, dass die Londoner Regierung führend in allen Belangen, welche sich gegen die Russische Föderation richteten, sein wolle.

In London gäbe man den Frontrunner, um selbst noch die Washingtoner Regierung zu übertrumpfen. Es sei der Preis, den London für seine eigene Haltung nun zu bezahlen habe, wie Dmitri Peskow abschloss.

Doch zahlt tatsächlich „London“ diesen Preis? Oder bezahlen nicht viel eher die britischen Durchschnittsbürger, die bereits unter einem schmerzhaften Rückgang der Realeinkommen ächzen, wie Andrew Bailey von der Bank of England sich in der letzten Woche ausdrückte, diesen Preis?

Gazprom-Bank wird bislang nur durch Großbritannien sanktioniert

Hingewiesen sei an dieser Stelle auf einen weiteren interessanten Aspekt. Dmitri Peskow führte am Samstag nämlich ergänzend aus, dass das Vereinigte Königreich momentan das einzige Land auf der Welt sei, welches Sanktionen gegen die Gazprom-Bank verhängt habe.

Zu einer solchen Entscheidung haben sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bislang nicht durchgerungen, weil über die Gazprom-Bank alle Zahlungen für russisches Erdgas abgewickelt werden.

Mittels einer Verhängung von Sanktionen gegenüber der Gazprom-Bank hat sich U.K. also selbst die Möglichkeit genommen, aus Russland importiertes Erdgas zu bezahlen. Die durch den Moskauer Kreml verlautbarte Entscheidung könnte durchaus als Warnung gegenüber der Europäischen Union aufgefasst werden.

Grafik: Cambridge Econometrics (2016) – Wer liefert Rohöl nach Europa? Und wieviel?

Was, wenn die Kreml-Regierung den Spieß einfach umdreht?

Denn sind die Verantwortlichen auf Ebene der Europäischen Union und in der deutschen Bundesregierung auch nur annähernd darauf vorbereitet, falls die Russische Föderation den Spieß einfach umdrehen sollte, um ihrerseits zu verkünden, kein Erdgas mehr an die Region liefern zu wollen?!

Jenes am vergangenen Donnerstag durch Russlands Staatspräsident Wladimir Putin unterzeichnete Dekret sieht unter anderem eine Eröffnung von speziellen Konten bei der Gazprom-Bank durch Käufer aus dem Ausland vor.

All jene seitens der Regierung der Russischen Föderation als „unfreundlich“ bezeichnete Länder sehen sich fortan dazu angehalten, neben ausländischen Währungskonten auch Rubel-Konten bei der Gazprom-Bank zu eröffnen.

Zugunsten einer Bezahlung von russischen Erdgaslieferungen übermittelte Euros, Yens oder US-Dollars sollen durch die Gazprom-Bank zukünftig zu einem direkten Kauf von russischen Rubel an den Währungsmärkten genutzt werden, um diese Rubel dann Erdgaslieferanten in der Heimat zukommen zu lassen.

Und schon fließt mehr russisches Erdgas in Richtung China

Auf weitreichendes Interesse sind unter anderem Berichte gestoßen, wonach Gazprom am vergangenen Freitag mitgeteilt hatte, unter Einsatz der nunmehr seit dem Jahr 2019 in Betrieb befindlichen Pipeline „Power of Siberia“ zuletzt mehr Gas in Richtung der Volksrepublik China gepumpt zu haben.

Diese zunehmenden Gaslieferungen an das Reich der Mitte seien in den aktuellen Planungen nicht vorgesehen gewesen, wie es weiter hieß. Abnehmer dieses zusätzlichen Erdgases sei laut Gazprom Russlands Hauptvertragspartner China National Petroleum Corporation.

Anfang Februar hatte Gazprom im Rahmen einer Presseerklärung offiziell mitgeteilt, sich mit der China National Petroleum Corporation über zusätzliche Gaslieferungen einig geworden zu sein. Basis dieser Vereinbarung ist es, die russischen Lieferungen an die Volksrepublik China zukünftig um weitere zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr zu erhöhen.

Im Fall der Pipeline „Power of Siberia“ handelt es sich um eine rund dreitausend Kilometer lange und grenzübergreifende Röhre, mittels welcher sich etwas mehr als sechzig Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr seitens Russland an die Volksrepublik China liefern lassen.

Ein erstes im Jahr 2014 zwischen Gazprom und der China National Petroleum Corporation unterzeichnetes Abkommen sieht eine bisherige Vertragslaufzeit von dreißig Jahren vor. Bis dato handelt es sich mit Blick auf die Pipeline „Power of Siberia“ um das größte zwischen der Russischen Föderation und der Volksrepublik China vereinbarte Rohstoffprojekt.

Japan hält an gemeinsamen Energieprojekten in Russland fest

Erwähnt sei, dass die japanische Regierung vor einigen Tagen offiziell bekanntgegeben hat, auch weiterhin mit russischen Energie-, Erdgas- und Rohöllieferanten zusammenarbeiten und kooperieren zu wollen.

Man sollte sich ob dieser Ankündigung nicht allzu verwundert zeigen, da sich Japan – ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland – als hochgradig abhängig von Rohstofflieferungen aus dem Ausland erweist.

Am vergangenen Freitag teilte Japans Wirtschaftsminister Hagiuda Koichi mit, sich nicht aus ehedem mit der Russischen Föderation vereinbarten Rohöl- und Erdgasprojekten in Sibirien zurückziehen zu wollen.

Japan habe sich in der Vergangenheit mittels einer Unterzeichnung von Verträgen langfristige Anteile an Rohöl- und Erdgasprojekten im russischen Sibirien gesichert. Diese gemeinsamen Projekte trügen mit dazu bei, die zukünftige Energieversorgungssicherheit Japans zu gewährleiten.

Ferner erhalte das eigene Land auf diese Weise Energielieferungen zu Preisen, die unterhalb der aktuell bezahlten Marktpreise lägen, so Japans Wirtschaftsminister. Angesichts der dramatischen Lage an den globalen Energiemärkten und dem Ausblick auf weiter steigende Energiepreise erwiesen sich diese in der Vergangenheit vereinbarten Projekte aus heutiger Perspektive wichtiger als jemals zuvor.

Hierbei handelt es sich allen voran um die Projekte Sachalin-1 und Sachalin-2, aus denen Japan aktuell einen Anteil von rund neun Prozent in Relation zu allen Flüssiggasimporten des Landes erhält. Der übergroße Rest der japanischen Energieeinfuhren stammt größtenteils aus Ländern des Mittleren Ostens.

Zu erwarten bleibt, dass Japan sich nur solange den westlichen Sanktionen gegenüber der Russischen Föderation anschließen wird, solange hiervor nicht der Energiesektor berührt und betroffen sein wird.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Aus dem obigen Bericht geht eigentlich alles klar und deutlich hervor. Es stellt sich die Frage, ob ein durch die Europäische Union zu verhängendes Energie-Embargo nicht tatsächlich weit mehr wirtschaftliche und finanzielle Schäden in Europa als in der Russischen Föderation anrichten würde!

Russland sieht sich nicht nur dazu in der Lage, zukünftig mehr Gas nach China zu liefern, sondern für die Europäische Union vorgesehene Gaslieferungen in zunehmendem Maße global zu diversifizieren.

Was die Europäische Union und Deutschland zurzeit erhalten, bekommen dann eben andere Nationen. Insbesondere in Indien und Indonesien scheint der Erwerb von russischen Energie- und Rohstofflieferungen in diesen Tagen zu wachsen – zumal der Moskauer Kreml diesen Interessenten deutliche Preisrabatte in Bezug auf die aktuell zu zahlenden Öl- und Gaspreise einräumen dürfte.

Die Brüsseler EU sollte sich die Frage stellen, ob sie im Hinblick auf eine Aufrechterhaltung der allgemeinen Energieversorgungslage in Europa nicht gerade mit einem extrem heißen Feuerzeug spielt?!!

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