Der Zusammenbruch der Krypto-Börse FTX hat einmal mehr ein Scheinwerferlicht auf den Wild-West-Charakter eines Anlagesektors geworfen, in dem alles möglich zu sein scheint.

Nach dem FTX-Desaster scheiden sich die Geister unter Investoren, Beobachtern und Kommentatoren, wenn sich die Dinge um die Zukunftsaussichten von Bitcoin und des Rests des Kryptowährungsuniversums drehen.

Über Pleiten, Pech und Pannen

Wird es nach den massiven Kursrückgängen in diesem Sektor zu einer nachhaltigen Erholung kommen? Oder ist vielmehr damit zu rechnen, dass der Zusammenbruch der Krypto-Börse FTX Folgeeffekte nach sich ziehen wird, die aufgrund des hohen Vernetzungsgrads im Krypto-Sektor noch überhaupt nicht richtig absehbar sind?

Mahnende Stimmen weisen darauf hin, dass die zuvor zu beobachtenden Pleiten von Terra/Luna, Celsius oder Three Arrows Capital mit einem gewissen Zeitverzug zur finanziellen Schieflage und dem nun erfolgten Untergang von FTX beigetragen haben könnten.

Danach ließe sich beispielsweise nicht überblicken, welche Akteure zu welchem Zeitpunkt welche Sicherheiten (darunter auch Bitcoin) bei wem für einen Erhalt von Krediten hinterlegt haben.

Der Grad der bestehenden Verflechtungen im gesamten Sektor sei – unter anderem auch aufgrund einer kaum existenten Regulierung – zu einem Raterätsel avanciert.

Folglich könnte sich der jüngste Zusammenbruch von FTX nur als ein weiterer Mosaikstein beziehungsweise als Sprungbrett auf dem Weg zu noch mehr Pleiten im gesamten Sektor erweisen.

El Salvador rückt in den Fokus

Spätestens seit der vergangenen Woche ist auch der zentralamerikanische Staat El Salvador in den Fokus der Ereignisse gerückt. Denn der anhaltende Wertverlust von Bitcoin, in El Salvador als offizielles Zahlungsmittel anerkannt, bereitet einer ganzen Nation inzwischen erhebliche Schwierigkeiten.

Nach einer kurzzeitigen Erholungsphase ist Bitcoin im heutigen Handel (Stand am heutigen Morgen) wieder unter die Marke von 16.000 US-Dollar pro Einheit gerutscht. Sich fortsetzende Wertverluste von Bitcoin treffen die Staatskasse des zentralamerikanischen Landes auf eine schmerzhafte Weise.

Zur Erinnerung sei erwähnt, dass der salvadorianische Staatspräsident Nayib Bukele Bitcoin im September 2021 offiziell zu einem gesetzlichen Zahlungsmittel im gesamten Land aufwertete.

Ein Teil der Staatskasse des über 6,5 Millionen Einwohner verfügenden Landes wurde damals in den Vermögenswert Bitcoin investiert. Aus heutiger Sicht handelt es sich um eine Fehlentscheidung, da die digitalen Token des Landes seitdem gut 67 Prozent an Wert eingebüßt haben.

Bezug auf jüngste Beiträge von Nayib Bukele in den sozialen Medien nehmend, scheint die Regierung in San Salvador (in Fiat-Währung ausgedrückt) geschätzte 70 Millionen US-Dollar nach der Kurstalfahrt von Bitcoin verloren zu haben.

„Sehr hohe Opportunitätskosten“

Die aktuelle Situation gibt den zahlreichen Skeptikern nicht nur Anlass zu Kritik, sondern stellt ihnen auch eine wachsende Plattform zur generellen Infragestellung der in El Salvador getroffenen Entscheidung zur Verfügung.

So erklärte Ricardo Castaneda, Ökonom am Zentralamerikanischen Institut für Fiskalstudien, dass mit dem jüngst erfolgten Kursrückgang von Bitcoin „sehr hohe Opportunitätskosten für ein Land wie El Salvador“ einhergehen.

Laut Ricardo Castaneda repräsentierten die jetzt erlittenen Verluste zum Beispiel nahezu das gesamte Budget des salvadorianischen Ministeriums für Landwirtschaft und Viehzucht – und dies in einem Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung unter Ernährungsunsicherheit leidet.

Um die zunehmende Kritik aufgrund von seinen getroffenen Entscheidungen abzuschmettern, hat Nayib Bukele seine Präferenz zugunsten von Bitcoin in einem Anfang November erschienenen Bericht in dem rein online publizierten Bitcoin Magazine verteidigt.

Der salvadorianische Staatspräsident argumentierte, dass Behauptungen unter Kritikern, wonach der zentralamerikanischen Nation einschneidende Verluste entstanden sind, „falsch“ seien, weil El Salvador seine digitalen Token nicht verkauft habe.

Erinnerungen werden wach

Verluste seien aus diesem Grund bislang nur auf dem Papier angefallen und nicht real. Nun ja, solche Aussagen rufen unter erfahrenen Marktakteuren Erinnerungen an vorherige Talfahrten samt geplatzten Blasen an den Aktienmärkten hervor.

Es gab und gibt Spekulationsphasen, in denen die Leute weitaus verliebter in einzelne Aktientitel als in die eigene Freundin oder Ehefrau (gewesen) sind, so dass die Betroffenen sich Kursrückgänge und Abschläge von neunzig oder mehr Prozent in Relation zu ehedem erreichten Hochs nicht in ihren kühnsten Träumen hätten vorstellen können.

In manchen Fällen kam es neben Totalverlusten auch zu den mit diesen Ereignissen an die Oberfläche drängenden Skandalen. Und selbst zu diesen Zeitpunkten gab es noch Hartgesottenen, die trotz allem weiter an einen bevorstehenden Turnaround glauben wollten.

Die Realität wollte durch diese Protagonisten aufgrund von psychologischen Hemmschwellen nicht gesehen werden. Es handelte es sich um ein Phänomen, das im Englischen als „willful ignorance“ (bewusste Ignoranz) bezeichnet wird.

In Sachen Bitcoin & Co. sei dahingestellt, ob es zu einer ähnlichen Entwicklung kommen wird oder nicht.

Wer jedoch einen Blick auf die Argumente wirft, mittels denen hartgesottene Bitcoin- und Kryptobefürworter die aktuell zu beobachtenden Ereignisse im Kryptobereich auszublenden oder gar zu verteidigen bereit sind, wird sich darüber bewusst, dass „Behavioral Finance“ aus einem rein psychologischen Aspekt heraus betrachtet ein Kernelement in Sachen Anlageentscheidungen darstellt – auch wenn dies viele Protogonisten noch immer nicht wahrhaben wollen.

Nayib Bukele im Verteidigungsmodus

Und so bedient sich zurzeit auch Nayib Bukele Argumenten, in denen er inhaltlich auf das „Unverständnis“ unter den zunehmenden Kritikern seiner Entscheidungen verweist.

Hierzu gehört beispielsweise dessen Aussage, wonach es keine Frage sei, ob andere Nationen Bitcoin zu einem offiziellen Zahlungsmittel machen werden oder nicht, sondern nur zu welchem Zeitpunkt dies der Fall sein wird.

Dieser Paradigmenwechsel befinde sich noch in seinen Kinderschuhen, weshalb es nicht von Vorteil sei, allein seinen gesunden Menschenverstand zu Rate zu ziehen und allein vernünftiges Handeln in Bezug auf die aktuellen Entwicklungen in den Vordergrund zu stellen.

Oh weia. Es kann allerdings auch nicht ratsam sein, sich der neuen Braut Bitcoin & Co. auf eine Weise zu verschreiben, die ein gesamtes Land – und somit Haus und Hof – in den Ruin stürzen könnte. Nayib Bukele sollte sich ferner darüber bewusst sein, dass es Steuergelder, und nicht sein Privatvermögen, sind, die er in den Sand zu setzen droht.

Ganz egal, ob Bitcoin weiter sinken oder demnächst die Kurve kriegen sollte, so rufen die durch Nayib Bukele geäußerten Ansichten Erinnerungen an andere Blasen samt eines unverrückbaren Festhaltens an so manchen geplatzten Aktienträumen unter Privatanlegern wach.

Und typisch für einen mit blindem Optimismus ausgestatteten Anleger ist auch die Tatsache, dass Nayib Bukele vor wenigen Tagen erklärt hat, im Bitcoin-Bereich weiter aufstocken zu wollen.

Das Misstrauen wächst

Wie dem auch sei, so hegten die Salvadorianer laut Ricardo Castaneda ein enormes Misstrauen gegenüber Bitcoin, obwohl Staatspräsident Nayib Bukele auf einen alltäglichen Gebrauch von Bitcoin im Zahlungsverkehr dränge.

Der Volkswirt fügte hinzu, dass bislang nur ein Anteil von zwei Prozent an allen Geldüberweisungen aus dem Ausland in Form von Bitcoin getätigt werde.

Doch gerade in der Anfangsphase der Bitcoin-Einführung als allseits akzeptiertem Zahlungsmittel wurden Überweisungen aus dem überseeischen Ausland als große Chance für die zukünftige Durchsetzungskraft der digitalen Währung betrachtet.

Unter Bezugnahme auf Ricardo Castaneda haben die Menschen im Land die enorme Volatilität und Schwankungsanfälligkeit samt jene mit einer mangelnden Transparenz in Zusammenhang stehenden Probleme nun aus erster Hand erlebt.

Es sei auch schon gar nicht mehr so, als ob den Salvadorianern Dritte etwas über die Auswirkungen einer Investition in Bitcoin erzählen müssten.

Denn auf das aktuell zugrundeliegende Szenario blickend, hätten die Bürger des Landes selbst die Entscheidung getroffen, Bitcoin nur in einem geringen Umfang oder überhaupt nicht im alltäglichen Zahlungsverkehr zu verwenden.

Ricardo Castaneda fügte zu der sich fortsetzenden Talfahrt am Bitcoin-Markt und in Rest des Kryptouniversums an, dass sich die in diesem Zuge entstandenen Verluste als Sargnagel für etwaige Pläne einer vollumfänglichen Adaption von Kryptowährungen in El Salvador erwiesen haben.

Heißt also übersetzt, dass es zu keiner politischen Entscheidung, Bitcoin oder irgendeine andere Kryptowährung zu einem alleinigen Zahlungsmittel im Land avancieren zu lassen, kommen wird beziehungsweise wird kommen können.

Denn die jüngst zu beobachtenden Entwicklungen an diesen Märkten hätten das Misstrauen unter weiten Teilen der Bevölkerung bezüglich einer vollumfänglichen Nutzung und Adaption nur noch weiter verstärkt.

Leicht dürfte es laut Ricardo Castaneda jedenfalls nicht werden, aufgrund der vorherrschenden Massenpsychologie einen Weg zurück aus diesem Dilemma zu finden.

Chivo legte andere Probleme offen

Dieses vorherrschende Misstrauen im Land habe sich übrigens bereits seit dem ersten Tag der Einführung der digitalen Geldbörse Chivo im September letzten Jahres beobachten lassen.

So haben viele Salvadorianer laut damaliger Berichte große Probleme dabei gehabt, die entsprechende App herunterzuladen. In vielen Fällen sei dieses Ansinnen sogar komplett gescheitert. Ein Grund schien sich aus einer Überlastung des heimischen Bandbreitenverkehrs abzuleiten.

Die Behörden des Landes sahen sich daraufhin gezwungen, das E-Wallet für einige Zeit komplett abzuschalten. Unter jenen, denen ein Download gelungen war, stellte sich hernach bereits schnell heraus, dass es ihnen oft nicht möglich war, sich mittels Telefonnummern und amtlichen Ausweispapieren zu registrieren.

Schon nach kurzer Zeit sei die digitale Geldbörse Chivo unter salvadorianischen Ottonormalbürgern deshalb auf Ablehnung gestoßen. Analysten warnen zudem davor, dass Menschen, die für Bitcoin kein technisches Verständnis aufbrächten, geradezu prädestiniert dazu seien, in Zeiten von sinkenden Kursen Geld damit zu verlieren.

Auch etwaige Datenschutzbedenken werden immer wieder ins Feld geführt. So warnen Verbraucherschutzorganisationen davor, dass die Bürger all ihre Daten und ihre Finanztransaktionen samt Konteneingängen und Kontenausgängen der Regierung zur Verfügung stellten.

„Steuergelder in einem virtuellen Casino eingesetzt“

Kritiker sehen sich aufgrund der aktuellen Ereignisse bestätigt. Denn Nayib Bukele und dessen Regierung hätten danach mehr als zweihundert Millionen US-Dollar in einem virtuellen Casino eingesetzt. Hierbei handele es sich allerdings nicht um deren Privatgelder, sondern um Gelder der Steuerzahler des Landes.

Bei El Salvador handelt es sich um das erste Land auf der Welt, das Bitcoin zu einem allseits akzeptierten Zahlungsmittel aufgewertet hat. Doch, so Ricardo Castaneda, handele es sich gleichzeitig auch um jenes Land, das den höchsten Prozentsatz an Menschen stelle, der Bitcoin im alltäglichen Zahlungsverkehr nicht verwenden und einsetzen möchte.

Diese Zusammenfassung für CK*Wirtschaftsfacts von Roman Baudzus nimmt Bezug auf einen Bericht auf der Seite von bitcoinmagazine.com sowie einen Bericht auf der Seite von cointelegraph.com.

„Was heißt das für mich konkret!?“ (Roman Baudzus)

Mancherorts heißt es, dass staatliche Akteure hinter dem Zusammenbruch von FTX stünden, um den privaten Krypto-Sektor vor einer potenziellen Einführung von eigenen staatlichen CBDCs zu plätten. Doch wäre dies überhaupt notwendig? Über Verbote ließen sich die Dinge schließlich auch regeln.

Dass das Misstrauen unter weiten Teilen der Bevölkerung eines Landes, welches Bitcoin als erstes Land dieser Erde offiziell als Zahlungsmittel anerkannt hat, in die Funktionstüchtigkeit dieser Kryptowährung sinkt, sagt einiges über den aktuellen Zustand des gesamten Sektors aus.

Und wenn das allgemeine Vertrauen in eine staatlich adaptierte Kryptowährung zum aktuellen Zeitpunkt bereits derart gering ist, warum sollte es dann im Hinblick auf durch Zentralbanken einzuführende CBDCs anders sein?

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