Sie kennen meinen nervigen Satz, dass ich es nicht verstehen wollte, dass die Zinsrakete so wirkungslos für Schuldner und Wirtschaft sein soll. Dazu ist die Welt ein weiteres Stück aus den Fugen geraten - und die Kredite teurer. Anleihen stehen unter Druck, die Zinsen steigen.

Im Heizkessel der Wirtschaft fehlt zunehmend der billige Zins als Brennstoff und Kursturbo an der Börse. Es scheint, als hätte der DAX statt in die Keksdose zur Abnehmspritze gegriffen. Sein Plus in diesem Jahr ist auf 6,3 Prozent abgemagert. Sogar das Gold lief besser als die TOP40 aus dem Schaufenster der deutschen Wirtschaft. Der MDax mit mehr Deutschland-Bezug ist sogar vier Prozent ins Minus gedreht, was weniger erstaunlich ist. Wer nicht komplett blind im Leeren dreht und mit Börse nichts am Hut hat, sieht sie, die Auswirkungen von Zins und Politik vor der eigenen Haustür.

Seit es aus den USA „higher for longer“ heißt, also für längere Zeit hohe Zinsen, ist den Börsenkursen die Lust zum Klettern vergangen, während die Sorgen vor Steinschlägen wachsen. Einige Brocken sind schon vom Dach gestürzt. Doch was soll es, jetzt beginnt eine ganz besondere Zeit.

Glaskugelfest

Wie alle Jahre holen die Volkswirte ihre Glaskugeln hervor und werfen ihre Prognosen unters Börsenvolk, ohne die Rechnung mit dem Wirt zu machen. Was sollen sie sonst tun? Es gehört zu einer Art von Ritual ohne Sinn. Manchmal klappt es wie an der Los- oder Schießbude. Meistens geht es aber daneben. Früher fragte man noch Hexen oder Hellseher auf dem Jahrmarkt. Heute geht das sogar online. Jetzt, wo es abends dunkler wird, klingeln die Kinder an der Tür und fordern Süßes oder Saures, vielleicht demnächst mit Schusswaffe, aber es ist auch Tradition um diese Zeit, und wird sehnlichst erwartet zu erfahren, wo der DAX in einem Jahr steht.

Am Beginn dieses Jahres orakelte man einen DAX-Stand von 15.260 Punkten. Das könnte sogar klappen, wenn nichts dazwischenkommt. Können Sie sich an weitere Prognosen erinnern? Oder haben Sie die wie auch ich längst vergessen? Das ist wie mit Versprechen in der Ehe. Wird eines gebrochen, kommt ein nächstes hinterher. Bis zum echten Glaskugelfest, ich traue mich nicht, an dieser Stelle „Weihnachten“ zu schreiben, ist noch etwas Zeit.

Unisono hieß es bei meinen Interviewgästen an der Börse, der DAX sei viel zu billig. Okay, das muss nicht heißen, dass es, wie bei Ausreden, nicht noch billiger geht. Vielleicht kommt der nächste Ärger aus den USA, wo die Wirtschaft so brummt wie ein Maikäfer im Juni. Doch was ist das?

Wurm im Apfel

Von den Top-500 Unternehmen im S&P500-Index notieren inzwischen 90 Titel auf einem Jahrestief. Für die luftigen zehn Prozent Jahresplus sind nur noch Dickschiffe wie Amazon, Apple, Microsoft, Meta, Alphabet, Tesla und Nvidia verantwortlich. Die glorreichen Sieben machen 30 Prozent der gesamten US-Börse aus. In der Breite der Wirtschaft aber wirkt das Zinsgift. Und bald auch stärker bei uns hierzulande.

Laut der Bank of America arbeitet inzwischen ein Drittel aller US-Unternehmen im Russell 2000 derzeit unrentabel. Deren Existenz hängt von billigen Krediten ab. Oder das Licht geht aus. Zombies voran! Von daher wird und muss es eines Tages so laut krachen, dass nicht nur die US-Notenbank entgegen all ihrer Aussagen die Zinsen wieder brachial senken muss. Jeder weiß es. Deshalb stehen die Kurse wohl höher als im historischen Kontext.

Was hat eigentlich der MSCI-World-Index in diesem Jahr gemacht? Neun Prozent Plus. Die Anhänger der Sachwert-Diskussion werfen ein, so ein Korb wäre mit dem Gold vergleichbar, nur, dass es in diesem Korb ziemlich lebendig zugeht und beim Gold alles still ist. Denken Sie mal im Zuge der nächsten Zinssenkungen an das Thema „Antigeld“. Und an den Wunschzettel für Weihnachten, wobei man bekommt wie an der Börse meist nicht das, was man sich wünscht, sondern wieder mal das, was man verdient.

Die Kunst wird für Aktienfreunde wohl darin bestehen, das Pulver so lange trocken zu halten, bis die Nacht am dunkelsten, die Crash-Warnungen am lautesten und die Ängste am größten sind. Aber rechtzeitig im Markt zu sein, bevor dann die Notenbanken plötzlich mehr vom Alten liefern müssen, also Geld zum kleinsten Zins. Wie? Noch mehr Schulden? 307 Billionen US-Dollar waren es weltweit zum Ende des ersten Halbjahres. Ein Plus von zehn Billionen US-Dollar. 80 Prozent davon machten die Industriestaaten. Da kommt es auf das eine oder andere Billiönchen doch gar nicht mehr an! Oder? Pfeif drauf!

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