An der Börse wird bekanntlich nicht zum Einstieg geklingelt. Diese Bahn scheint aber erst einmal weg zu sein. Die nächste kommt bestimmt. Seit Ende September konnte der DAX 19 Prozent zulegen. Experten nannten diesen Kurswumms erst eine „Bärenmarktrally“, dann eine „ausgedehnte Bärenmarktrally“ und jetzt „Jahresendrally“. Dabei schauen sie so fassungslos dem Kursfeuerwerk zu wie Schweine ins Uhrwerk. Oder war es gar die Trendwende?

Was ist passiert? Die US-Inflation geht jetzt nach offizieller Lesart nicht mehr ganz so steil wie in den letzten Monaten. Die Inflationsrate sank dort im Oktober von 8,2 auf 7,7 Prozent. Das nährt Hoffnung auf eine weniger bremsende US-Notenbankpolitik. Und sonst? Die Wirtschaft schwächt sich ab, und die Kurse steigen. Passt nicht, ist aber so.

Seit dem Tief bei 11.860 Punkten hat der DAX 2.500 Zähler zugelegt. Nur noch zehn Prozent, und er hat sein 2022er-Minus ausgeglichen, vielleicht bis zur Abrisskante bei 14.800 Punkten- oder bis zum 200er-Tage-Durchschnitt, sagen technische Analysten. Erst mal gucken, dann mal sehen. Vielleicht ist es auch der Anlagenotstand, denn im System ist viel Geld unterwegs, so ein paar Billiönchen vielleicht. Wenn nichts dazwischenkommt...

Selbst unsere Weichwährung erholt sich um neun Prozent seit ihrem Durchhänger. Eine Fata Börsiana? In den USA soll bei fünf Prozent Leitzins Schluss sein mit der Zinsfolter. In Europa wurden dagegen weitere Zinserhöhungen angekündigt. Das verringert theoretisch die Zinsdifferenz zwischen den Kontinenten und der US-Dollar macht Anstalten, eine obere Umkehrformation zu vollziehen - ein weiterer Grund, die Dollars ins Ausland zu schicken, allein aufgrund möglicher Währungsgewinne, wenn sie denn auftauchen sollten.

Das Jahr ist fast vorbei. Inzwischen werden auf dem Parkett erste Packungen Spekulatius ausgepackt, das Lieblingsgebäck der Börsianer. Allein aber die Tatsache, dass auch die Börse aufgrund der Gasknappheit auf nur noch 19 Grad geheizt wird und man doch ab und zu fröstelt, lässt einen daran erinnern, dass momentan nicht alles in Butter ist – im besten Deutschland aller Zeiten.

Die Rezession ist schon da - oder wartet um die Ecke. 2023 werden die Bäumen wahrscheinlich nicht in den Himmel wachsen und die Inflation nach Wunschdenken der EU-Kommission auf sechs Prozent in der Eurozone sinken. Fraglich ist vor allem in den USA, welche Auswirkungen die bisherigen schnellen Zinsanhebungen später noch zeigen. Im Immobiliensektor haben sie ihr Zerstörungswerk schon begonnen. Schuldner werden unter Druck kommen und Unternehmen ihre Kosten drücken und sparen. Erste Massenentlassungen werden aus den USA aus dem Tech-Imperium gemeldet. Aber die Börse steigt.

Mit der Realität muss das alles erst einmal nichts zu tun haben. Die einen wollen nichts verpassen, die anderen fühlen sich bestätigt, dass Aktien besser sind als Bargeld unterm Kopfkissen oder auf der Bank. Über Gold redet zurzeit kaum jemand.

Und wenn alle auf fallende Kurse setzen, und es kommt anders, dann passiert das Gleiche, als ob eine Herde von einer Seite der Weide auf die andere hetzt. Für die einen sind jetzt DAX-Stände von über 14.000 Punkten eine gute Gelegenheit, ihre Gewinne mitzunehmen. Für andere, aufgelaufene Verluste zu begrenzen. Die Frage ist, wie es weitergeht. Die Probleme sind ja nicht aus der Welt. Auffällig ist, dass die langweiligsten Aktien sich am besten gehalten haben: Versicherungen, Versorger und sogar Telekommunikationswerte, also alles, was man so braucht.

Für steigende Kurse spricht die Aussicht darauf, dass es die Notenbanken mit ihren Zinsanhebungen nicht übertreiben dürfen. Ihnen fliegt sonst nicht nur die Wirtschaft um die Ohren. Gegen steigende Kurse spricht die Tatsache, dass die Unternehmen mit zunehmenden Kosten und auch Zinsen zu kämpfen haben, die sich nicht vollends auf andere überwälzen lassen. Ein weiteres Problem ist die Ausgelaugtheit der Verbraucher, die sich wegen der steigenden Preise die Taschen zunähen.

Weihnachten soll nach neuen Prognosen in Sachen Geschenke doch nicht so fröhlich und selig werden. Vielleicht gibt es ein „Oh!“ Letztlich zählt: Man sollte auch auf dieser Party etwas näher am Ausgang feiern. Die nächste Bahn kommt bestimmt, außer die Deutsche Bahn, die nur noch selten pünktlich kommt...

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