Wenn es zu verhindern gilt, dass die Welt auf eine Katastrophe zusteuert, kann nur eine politische Lösung den Frieden wiederherstellen.“

Diese weisen Worte von De Gaulle, welche der damalige französische Präsident am 1. September 1966 in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh äußerte, gegen die US-Militärintervention in Vietnam, sind von zeitloser Aktualität. De Gaulle warb damals für ein Abkommen, das „die Neutralität der Völker Indochinas wie auch deren Selbstbestimmungsrecht gewährleisten sollte“.

Gerade aufgrund der Tatsache, dass diese Mahnung - eines der Gründungsväter der EU - im heutigen Brüssel auf taube Ohren stoßen wird, erscheinen die Analysen von Staatsmännern jenes Schlages - die noch in historischen Tiefen zu denken pflegten und Kriege aus eigener Anschauung kannten, eben um diese zu vermeiden - von beklemmender Aktualität.

Noch im gleichen Jahr verließ Frankreich die NATO und verbannte diese aus dem Hexagon, wie man Frankreich aufgrund seiner geographischen Lage auch zu nennen pflegt. Im November 2019 schrieb ich hierzu:

Charles André Joseph Marie de Gaulle, der wohl größte Staatsmann Frankreichs - vielleicht auch Europas - im 20. Jahrhundert, plädierte für ein starkes Europa, vom Atlantik bis zum Ural, unter Einschluss von Moskau. Schon früh erkannte der General im Amt des Staatsmannes, dass diese Vision im schroffen Gegensatz zu der Strategie der USA stand. Als sich de Gaulle im März 1966 den Strukturen der Nordatlantikpakt-Organisation (NATO) entzog, liefen die Vorbereitungen für diesen Coup unter strengster Geheimhaltung. De Gaulle hatte nur seine Außen- und den Verteidigungsminister eingeweiht. Erst unmittelbar hatten die übrigen Minister erfahren, dass Paris seine militärische Mitarbeit in der NATO beenden werde. In einem Brief an den damaligen US-Präsidenten Lyndon Baines Johnson, erklärte der französische Staatsmann, dass Frankreich beabsichtige „seine volle nationale Souveränität auf seinem Territorium" wiederherzustellen und sich auch nicht mehr an der „integrierten Kommandostruktur des Bündnisses" zu beteiligen. Paris zog daraufhin am 1. Juli 1966 seine Truppen unter NATO-Befehl zurück. Formell blieb das Land Mitglied des Bündnisses, aber das NATO-Hauptquartier war immerhin gezwungen, von Paris nach Brüssel umzuziehen und seine Truppenverbände größtenteils in die Bundesrepublik zu verlagern. De Gaulle störte sich zunehmend an der angloamerikanischen Dominanz im Bündnis, das heißt der Herrschaft der USA, die bis heute anhält." 

Die EU ein Kriegsprojekt?

Von den Einsichten, Erkenntnissen und Analysen ist die heutige Führung der EU, in Form ihrer Kommissare weit entfernt. Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine fällt Brüssel nichts anderes ein als Sanktionen zu verhängen, die zunehmend die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit Europas in Frage stellen, sowie an die Ukraine Waffen zu liefern, welche nur den Krieg, sowie die damit üblichen grässlichen Begleiterscheinungen jedes Krieges verlängern.

Der EU-Chef-Diplomat Josep Borrell sprach sich bei seinem Besuch in Kiew, welchen er im Schlepptau von Ursula von der Leyen absolvierte, für eine militärische Lösung des Ukraine-Konflikts aus, was für einen Diplomaten ja schon ungewöhnlich genug ist.

Ungewöhnlich ist dieses Plädoyer für eine militärische Lösung dieses Krieges auch für eine EU, die sich über Jahrzehnte selbst als "Friedensprojekt" definierte, dafür auch den Friedensnobelpreis erhielt.

Die Äußerungen Borrells stellen also nicht nur eine Bankrotterklärung da, die sein eigenes Amt in Frage stellt, sondern auch eine Zäsur von dramatischem Ausmaß.

Neutralität als Machtfaktor

Viel notwendiger wäre es, die EU würde sich auf eine eigene außen- und sicherheitspolitische Doktrin einigen - was zur Stunde sicher illusorisch klingt - um der Ukraine reinen Wein einzuschenken, dass sie diesen Krieg gegen Russland nicht gewinnen kann, höchstens verlängern. Sie sollte daher Kiew dazu ermutigen, sich zu einem neutralen, blockfreien Staat zu entwickeln, flankiert von umfangreichen Sicherheitsgarantien aller Beteiligten.

Diese Neutralität steht nämlich im Zentrum dieses Krieges, auch wenn diese wie eine schmerzliche Konzession an Putin erscheinen mag und man früher oder später nicht an ihr vorbeikommen wird. Dass Neutralität in der heutigen Welt der multipolaren Konfrontation keine strategische Schwäche darstellen muss, wird schon dadurch symbolisiert, dass der österreichische Kanzler heute in Moskau zu Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eingetroffen ist, dessen Land seine Neutralität als das grundlegende Element der Außenpolitik Österreichs darstellt.

Am Vorabend der russischen Invasion in der Ukraine stellte die ehemalige Bundespräsidentin der Schweiz und frühere Vorsitzende des Europarats nüchtern und doch weitsichtig fest:

"Um den Werten, die sie verkündet, gerecht zu werden und strategisch Autonomie zu erlangen, müsse die EU eine „neutrale und blockfreie“ Macht werden, „unabhängig und gewaltfrei zwischen den Blöcken“.

„Was heißt das für mich konkret!?"

Die Ausführungen der Schweizer Politikerin sind durchaus erwähnenswert. Ihr Konzept der "aktiven Neutralität" hätte, angewandt auf die EU und ihr Umfeld, in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel Blutvergießen vermieden.

Denn, was hat es der EU gebracht, ihre außenpolitischen Zielsetzungen bedingungslos unter den Oberbefehl Washingtons zu stellen? Für Europa hat sich daraus keine friedliche und stabile geopolitische Perspektive ergeben. Welche Werte eine "werteorientierte Außenpolitik" darstellen, welchen sich Annalena Baerbock verpflichtet fühlt, wird zur Stunde deutlich. Im Krisenfall hat dieses Konzept nichts zu bieten, außer mehr Waffen und Sanktionen, mehr Elend, Tod und Verderben. 

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