Misstrauensantrag wegen zügellosem Abhören

In der vergangenen Woche stellte Oppositionsführer Alexis Tsipras im Parlament einen Misstrauensantrag. Er begründete diesen mit der immer weiter ausufernden Abhöraffäre rund um den von Premier Kyriakos Mitsotakis geführten staatlichen Geheimdienst EYP.

Es entbrannte eine dreitägige Debatte im Parlament, die am Freitag, wie erwartet, mit dem Abschmettern des Misstrauensvotums durch die Regierungsmehrheit endete. Seit der Wiederherstellung der Demokratie nach dem Sturz der Militärdiktatur gab es sechzehn Misstrauensanträge. Keiner führte zum von den Antragstellern gewünschten Erfolg.

Die Debatte im griechischen Parlament über den Misstrauensantrag dauerte 34 Stunden. Sie war die längste der bisherigen Geschichte. Sie ging Mittwoch und Donnerstag bis 3 Uhr nachts. Zu Wort kamen 126 Abgeordnete, sechs Fraktionsvorsitzende, 22 Minister, stellvertretende Minister und Staatssekretäre, ein ehemaliger Ministerpräsident (Giorgos Papandreou), die ehemalige Generalsekretärin der Kommunistischen Partei (Aleka Papariga), ein ehemaliger Parlamentspräsident (Nikos Voutsis), ein stellvertretender Premier (Panagiotis Pikramenos) und die Parteivorsitzenden der sechs im Parlament vertretenen Parteien.

Eine der höchsten Stunden des Parlaments“, „die Krönung der Debatten“, sind Floskeln mit denen Redner gern die Wichtigkeit der Debatte betonten. Viele wandten sich während ihrer Reden an die Fernsehzuschauer des live übertragenen Prozederes. Wie viele Bürger sich den Fernsehmarathon freiwillig angetan haben, vermag ich nicht abzuschätzen.

Zur Stärkung des demokratischen Selbstbewusstseins trug keine der Reden der Vertreter der Regierungspartei Nea Dimokratia, aber auch derer der größten Oppositionspartei SYRIZA bei. Inhaltlich trugen sämtliche Vertreter der beiden größten Parlamentsfraktionen vielleicht vier unterschiedliche Reden bei. Alles andere war eine Kopie der als Parteilinie vorgegebenen Inhalte.

Gegenseitiges Präsentieren der Schmutzwäsche

„Sie können uns nichts vorwerfen, denn sie haben selbst Dreck am Stecken“, war das Motto der Regierungsvertreter. Diese lasen gebetsmühlenartig die Skandale der Regierungszeit von Alexis Tsipras vor. Eine Antwort auf die Frage, warum die Regierung Minister, die Militärführung, Minister, Oppositionspolitiker, Journalisten und Industrielle abhörte, gab niemand. Ein Abhören des obersten Heereschefs als „Risiko für die nationale Sicherheit“ mag für einen begrenzten Zeitraum erklärbar sein. Wenn dann aber der unter Verdacht stehende Generalstabschef mit mehreren Verlängerungen des Abhörbefehls über mehr als 20 Monate lückenlos überwacht wird, dann sollte die Logik doch eine Ablösung gebieten? Die Amtszeit des Generalstabschefs wurde aber vor wenigen Tagen erneut verlängert.

Wenn die Regierungspartei der Opposition vorwirft, dass sie in ihrem letzten Gesetzespaket die Strafen für illegales Abhören vermindert hat, und dies ein Skandal sei, dann sollte ein unbeteiligter Beobachter erwarten können, dass eine der ersten Eingaben ins Parlament der Regierung die Anhebung der skandalös niedrigen Strafen vorsehen sollte. Zudem hatte die SYRIZA-Regierung die Hürden für das gesetzeskonforme Abhören niedriger gelegt. Statt zwei Staatsanwälten war nur noch die Entscheidung einer staatsanwaltschaftlichen Instanz für das Abhören notwendig.

Die Nea Dimokratia ist bald vier Jahre in der Regierungsverantwortung. Noch hat sie das als Skandal bezeichnete Gesetz nicht geändert. Lediglich die zwei notwendigen Staatsanwälte für den Entscheid über das Abhören wurden wieder eingeführt. Allerdings kann mit dem neuen Gesetz der Nea Dimokratia faktisch niemand mehr herausfinden, ob - und wenn, warum er abgehört wurde. Für letzteres müssen drei Jahre Wartezeit vergehen, wenn das Abhöropfer vorher selbst herausfindet, dass es angezapft wurde.

Die Nea Dimokratia warf SYRIZA das systematische Abhören der Kommunistischen Partei vor. „Tu quoque“ (du auch), heißt das juristische Argument. Allerdings setzte sich das Abhören auch unter der Nea Dimokratia fort. Von SYRIZA selbst gab es keine Antwort, warum das aktuelle Abhören der Regierung schlecht, die eigenen Aktionen, bei denen auch eigene Politiker angezapft wurden, aber richtig gewesen sein sollen.

Immerhin sorgte der SYRIZA-Politiker Giannis Ragoussis für die Aufdeckung eines weiteren Abhörskandals. Er belegte, dass ein Bürger den Link für die Verseuchung seines Mobiltelefons mit der Predator-Spionagesoftware mit einer SMS zur Bestätigung seines Impftermins bekam. Niemand behauptet, dass die perfekt gefälschte SMS vom Impfzentrum kam, aber es ist offensichtlich, dass die Daten aus der Impfdatenbank in die Hände der Abhörenden gelangten, was einen eklatanten Verstoß gegen den Datenschutz darstellt.

Nur, was sollen die Wähler mit all dem Skandalwissen anfangen, wenn es für niemanden Konsequenzen gibt? Wenn, wie ebenfalls im Zeitraum der Parlamentsdebatte bekannt gegeben, die Regierungspartei, so als hätte es den Cambridge Analytica Fall nie gegeben, mit einer rumänischen Firma auf mutmaßlich illegalem Weg erlangte private Facebook Daten von Bürgern erfasste, um diesen gezielte politische Werbung zukommen zu lassen und wenn das Geschäft mit der rumänischen Firma nach griechischem Recht illegal war? Wenn die Regierung angesichts der seit April 2022 öffentlichen Abhöraffäre nunmehr insgesamt 17 diametral gegensätzliche Ausreden präsentiert und die ermittelnde Justiz effektiv keinen Einhalt gebieten kann?

Die Frage, wie die SYRIZA nahestehende Presse an die Unterlagen des Geheimdienstes kommen konnte, stellte mit Blick auf die offensichtlichen Lecks bei den Schlapphüten die frühere Generalsekretärin der Kommunisten Aleka Papariga. Seit Monaten druckt eine Sonntagszeitung jede Woche neue Beweise, neue Namen von Abgeordneten und auch Auszüge aus Abhörprotokollen ab. Die jüngste Aufdeckung betrifft die Schwester von Kyriakos Mitsotakis und deren Kinder als Abhöropfer.

Die dritte Oppositionspartei im Parlament, die PASOK, verlangt lückenlose Aufdeckung der Abhöraktionen beider Regierungsparteien, Nea Dimokratia und SYRIZA. In eine ähnliche Kerbe schlagen die Rechtspopulisten der „Griechischen Lösung“. Für SYRIZA Anhänger und auch für die der Partei nahestehende Presse sind das Angriffe auf ihre Partei. Sie identifizieren die zweifelnden kleineren Oppositionsparteien dann als „Steigbügelhalter der Regierung“.

Statt Antworten auf all die Fragen gab es drei Tage lang seitens der Regierung eine Aufzählung ihrer Erfolge und Fragen an SYRIZA wegen deren Skandalgeschichten.

Dazwischen fielen wüste Schimpfworte, die so gar nicht der ansonsten geforderten politischen Korrektheit entsprachen. Wirtschaftsminister Adonis Georgiadis bezeichnete seinen Erzfeind von SYRIZA, Pavlos Polakis als Rantanplan, den tölpeligen Hund der Lucky Luke Comic Serie. Tsipras warf Mitsotakis zunächst vor, geistig minderbemittelt zu sein. Konstantinos Maravelias nannte die Oppositionspolitiker „Affen“. Mehrfach befanden SYRIZA-Politiker, dass die Nea Dimokratia „entartet“ sei. Obwohl das Wort in Griechenland nicht so negativ konnotiert ist wie in Deutschland, ist es dennoch kein Wort für den „Tempel der Demokratie“, wie das Parlamentsgebäude in Athen gern von den Politikern genannt wird. Dass es im oft ausufernden Geschrei nicht zu Handgreiflichkeiten kam, muss in diesem Zusammenhang als gute Nachricht vermeldet werden.

Parteiverbote per Regierungsmehrheit

All dies sorgt für Politikverdruss, der sich in den Umfragen niederschlägt. SYRIZA kann aus den Skandalen der Regierung kein Kapital schlagen, wenngleich die Umfragewerte der Nea Dimokratia sinken. Auch bei der PASOK gibt es keine nennenswerten Gewinne. Die Kommunisten können leicht punkten, die Griechische Lösung und die Partei von Yanis Varoufakis, MeRA25 werden ziemlich sicher die drei Prozent Sperrklausel bei den in den nächsten zwei bis vier Monaten stattfindenden Wahlen schaffen. Gefahr droht von ganz weit rechts. Eine Nachfolgepartei der neonazistischen Goldenen Morgenröte legt seit Monaten rasant zu. „Griechen für die Heimat“ heißt sie und wird vom inhaftierten Ilias Kassidiaris geführt. Die drei Prozent Hürde scheint, so zeigen die Umfragen, machbar zu sein. Für den Parteivorsitz hat er, als verurteilter Häftling, einen Vetter gleichen Namens bestimmt. Er selbst kann aber als Parlamentskandidat antreten.

Auch dafür ersinnt die Regierung ein Gesetz. Mit der Regierungsmehrheit soll beschlossen werden, dass Parteien, verboten werden können, wenn ihre Führung wegen Kriminalität verurteilt wurde. Vorgeblich soll es den Nazis den Weg in die Vouli verwehren, es ist aber, zum Entsetzen der Opposition, so schwammig formuliert, dass Parteienverbote künftig einfacher werden.

Es wird 2023 jedoch nicht nur eine Wahl geben. Für Mitsotakis steht jetzt schon fest, dass er keine Koalitionsregierung, sondern vielmehr die absolute Mehrheit will. Die nächsten Wahlen werden aber mit dem Verhältniswahlrecht ausgetragen, so wie es unter der SYRIZA-Regierung beschlossen wurde. Mitsotakis Wahlrechtsänderung, die der stimmenstärksten Partei Bonussitze zuschustert und ihr so, auch mit 35 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit im Parlament verschaffen kann, greift erst bei den übernächsten Wahlen.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Im Text erfährt der Leser, wie schlecht es um die Demokratie im Land ihrer Erfinder steht. Dass sogar die Impfkampagne für die Installation von Spionagesoftware und Abhöraktionen verwandt wurde, ist kein gutes Symptom. Bestraft wurde bislang niemand.

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