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Das sollte Mut machen und eine gute Nachricht sein. Aber eine große Zahl von Bürgern äußert Kritik und bezweifelt – nicht ganz zu Unrecht - das Funktionieren der Demokratie. In den neuen Bundesländern sind es 56 Prozent und im Westen 40 Prozent. Die Studie kommt zum Schluss, dass „gleichwertige Lebensverhältnisse ein wichtiger Faktor für die Demokratiezufriedenheit sind“.

Bezeichnenderweise ist die Kritik am Funktionieren der Demokratie dort am größten, wo sich die meisten Menschen abgehängt und von der Regierungspolitik vergessen sehen. „Dieses Gefühl sollte ernst genommen werden, denn wer sich oder seine Region als ‘abgehängt’ ansieht, neigt eher zu populistischen Einstellungen und ist weniger zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie“, zitiert der Tagesspiegel die Jenaer Politikwissenschaftlerin Marion Reiser, die Mitautorin des Deutschlandmonitors ist. Die Feststellung ist nicht auf Deutschland allein beschränkt.

Im Griechenland der Jahre der Finanzkrise war es keineswegs anders. Die nationalsozialistische Goldene Morgenröte kam unter ähnlichen Vorzeichen ins Parlament. Als Koalitionspartner wählte Alexis Tsipras, der sich als linker Populist erwies, einen rechtsnationalen Populisten, Panos Kammenos und seine Unabhängigen Griechen. Wäre diese Regierung nicht allgemein als „linksextrem“ eingestuft worden, hätten wir nun die Gelegenheit, die Folgen des Wirkens von Populisten auf Regierungsposten am Beispiel Griechenlands zu diskutieren.

Und so ist eine interessante Nachricht aus Hellas, dass der berühmte Sänger und Musiker Giorgos Dalaras bei seiner Abkanzelung von Journalisten und dem Fernsehen hervorhob, dass es ein Makel der griechischen Medien sei, dass nicht ausführlich über die hunderttausenden, für Demokratie einstehenden Demonstranten in Deutschland berichtet würde. Für den 75-jährigen Dalaras hat Deutschland in diesem Punkt eine Art Vorbildfunktion.

Der Sänger moniert, dass Worte im allgemeinen Sprachgebrauch ihre Bedeutung verlieren, wenn sie nicht mehr verstanden werden. Dalaras bemängelt das Absinken von Unterhaltung, Musik und Journalismus ins Seichte. Für ihn ist es eine Gefahr, dass Kollegen mit guten Stimmen aber ohne jegliches Textverständnis Werke wie das von Mikis Theodorakis vertonte Axion Esti des Nobelpreisträgers Odysseas Elytis singen.

In Deutschland mag das auf den ersten Blick unverständlich klingen, es steht aber durchaus in Bezug zur Demokratie – jedenfalls der, die als Attische Demokratie (462-322 v. Chr.) zur Blaupause der heutigen Demokratien erklärt wurde.

Psychagogia, Erziehung der Seele, ist das Wort, das die antiken Griechen für Theater und Musik ersannen. Mit „Unterhaltung“ wird das nur unzureichend übersetzt. Die Tetralogie des Dramas, des antiken Theaters, drei Tragödien und eine Komödie hatten durchaus bildenden, demokratiefestigenden Charakter.

Gebildete, wohlinformierte Bürger als Fundament einer Demokratie, so sahen es die Erfinder im Stadtstaat Athen. Nicht umsonst wurden die Werke des begnadeten Satirikers Aristophanes, des Philosophen und Multiwissenschaftlers Aristoteles, sowie von Albert Camus, Jean Paul Satre, Thomas Mann und Thomas Stearns Eliot von der Militärregierung in Griechenland (1967-1974) als „gefährliche Schriften“ verboten. Im Jahr 461 v. Chr. führte Perikles dagegen die kostenlose Bereitstellung von Theaterkarten für finanziell Bedürftige ein und ermöglichte so allen Athenern, die Theater zu besuchen und ihren Geist zu kultivieren.

Es gab schon vorher im hellenischen Sprachraum Demokratieversuche, die jedoch scheiterten. Die Attische Demokratie hatte trotz des Makels, dass Sklaverei erlaubt, kein Frauenwahlrecht existierte und das Stimmrecht an die Bezahlung der Steuerschuld gebunden war, einige Elemente, derer es sich zu gedenken lohnt. Die Einschränkung ist, dass von 250.000 Einwohnern nur 50.000 Bürgerrechte hatten. Die Demokratie samt Wahlrecht war ein exklusives Recht für Männer, die ihren Wehrdienst geleistet hatten.

Die athenische Politeia ehrte aktive Bürger für soziale Solidarität, die finanzielle Unterstützung öffentlicher Arbeiten und die einwandfreie Erfüllung ihrer Pflichten – und machte sie so zu Vorbildern. Eigenbrötler ohne Interesse am allgemeinen Wohlergehen der Gesellschaft wurden als Privatiers negativ gesehen. „Idiotes“ ist der griechische Ausdruck für Privatiers. Das Schimpfwort „Idiot“ leitet sich davon ab.

Die unterstellte unsoziale Einstellung wurde später mit einer Einschränkung der geistigen Möglichkeiten einer Person gleichgesetzt. Die Weigerung zur Wahl zu gehen, wurde als einer der schlimmstmöglichen Makel angesehen und führte zur faktischen Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Das absichtliche Schwänzen der Wahl galt als feige, antidemokratisch und Verrat an der Allgemeinheit. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die auch heute noch als Strafe von griechischen Gerichten verhängte Aufhebung der politischen Bürgerrechte auch im modernen Griechenland als einer der härtesten Strafen gilt. Sie wurde bereits mehrfach verhängt.

Ausländische Bürger konnten, abhängig von ihrem Beitrag zur Stadt und ihrem Engagement für demokratische Werte, das Recht auf Landbesitz und Wohnsitz sowie das Recht auf die athenische Staatsbürgerschaft erhalten. Sie hatten in der Bürgervollversammlung kein eigenes Rederecht, konnten jedoch über einen attischen Bürgen ihre Meinung äußern. Interessant ist, dass die dreigeteilte Macht in Parlament (Vouli), Bürgervollversammlung (Ekklisia tou Dimou) und Gerichtsbarkeit eine Art Ausschluss von Strafverfolgung für die Amtsausübung in der Vollversammlung und der Gerichtsbarkeit kannte, nicht aber für die Mitglieder der Vouli.

Das Parlament wurde jährlich per Los aus den 10 attischen Stämmen paritätisch ausgelost. Jeder Stamm entsandte 50 Bürger. Jeder Bürger durfte maximal zweimal in Parlament gelost werden. Das Parlament arbeitete Resolutionen aus, die der Vollversammlung zur Abstimmung vorgelegt wurden. Die Vollversammlung hatte das Recht, Beschlüsse zu Angelegenheiten der Religion, der Wirtschaft, der Stadtorganisation sowie der Innen- und Außenpolitik zu fassen, die durch Abstimmung erlassen wurden.

Aus Vollversammlung und Parlament wurden neun Regierende ausgelost. Zehn Heerführer wurden gewählt. Lediglich bei den Heerführern, die für die Verteidigung der Stadt verantwortlich waren, gab es, auch wegen Perikles, die Möglichkeit mehrfacher Wiederwahl. Die 6.000 Richter wurden jährlich unter den Vollbürgern im Lebensalter von mehr als 30 Jahren ausgelost. Bestechung von Richtern war ein Ding der Unmöglichkeit, zumal diese selbst erst am Morgen des Gerichtstags per Losentscheid ein Verfahren zugeteilt bekamen.

Als Korrektiv gegen populistische Tendenzen und Machtmissbrauch gab es in der Attischen Demokratie das Scherbengericht. Bruchstücke von Tonscherben dienten als „Wahlzettel“. Politisch missliebige Bürger konnten so von der Macht entfernt und sogar für zehn Jahre verbannt werden. Allerdings waren dafür mindestens 6.000 Stimmen erforderlich.

Transparenz war verpflichtend. Säulen mit Gesetzen, Wirtschaftsentscheidungen, Bündnisverträgen, Ehrenbeschlüssen und anderen schriftlichen Texten des athenischen Staates wurden in Heiligtümern und öffentlichen Plätzen, an auffälligen und prominenten Orten und für die Bürger direkt zugänglich aufgestellt. Die Originaltexte aller Resolutionen wurden in einem besonderen Gebäude in der Agora, dem sogenannten Register, archiviert.

In unserer heutigen repräsentativen Demokratie erscheinen viele dieser Elemente aufgrund der Größe unserer Staaten unpraktisch. Einige der Schutzmechanismen der Antike, die momentan fehlen, wurden erfunden, um Krisen wie die jetzt von uns erlebte zu verhindern. Einiges könnte in der heutigen Zeit mit der Fortschreitung der Digitalisierung wieder in moderner Form implementiert werden.

Demokratie, die Macht des Volkes, war eine bis ins kleinste Detail durchdachte Regierungsform der Athener Politeia. Politeia, ein von Platon und Aristoteles definierter Begriff als Beschreibung der Gemeinschaft der Stadtbürger, somit des Gemeinwesens grenzt sich im Griechischen vom später eingeführten Wort „Kratos“ (Staat) ab.

Es ist ein Privileg der griechischen Sprache, dass diese Begriffe sprachlich unterschieden wurden. Zum Trost sei erwähnt, dass selbst die Väter der aktuellen griechischen Verfassung diese feine, aber wichtige Unterscheidung übersahen und beide Begriffe fälschliche zum Teil gleichwertig einsetzten. Der Staatsrechtler Dimitris Tsatos (1933-2010), Doktorvater von Guido Westerwelle und des griechischen Spitzenpolitikers Evangelos Venizelos, hatte dies in einer interessanten Analyse der griechischen Verfassung herausgearbeitet.

Warum das so wichtig ist? Weil Kratos und Via (Gewalt) in der griechischen Mythologie beide „Bodyguards“ und Befehlsempfänger des allmächtigen Gottvaters Zeus, somit im übertragenen Sinn Erfüllungsgehilfen einer höheren Gewalt waren. Also war und ist der Begriff „Kratos“ im Griechischen eigentlich negativ konnotiert. Was zählt, ist das uns alle betreffende Gemeinwesen, für das wir alle demokratisch einstehen sollten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass wir (wir Journalisten zuerst) darauf achten, dass wir die Bedeutung von Worten nicht euphemistisch verdrehen und die Dinge beim Namen nennen.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Der Text handelt von der Demokratie und ihrer einstigen Definition im nicht makellosen Vorbild der Attischen Demokratie. Die Leser erfahren, warum Deutschland für einen griechischen Superstar zum Vorbild taugt und wieso es wichtig ist, sich mit der Bedeutung von Worten intensiver auseinanderzusetzten. Schließlich wird erklärt, warum Nichtwählen für die Erfinder der Demokratie ein Verrat am Gemeinwesen und eine unsoziale Haltung war. „Food for thought“!

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