Premier kassiert Beihilfen als Bauer

Derweil wurde bekannt, dass Premier Kyriakos Mitsotakis pro Jahr 8.500 Euro Agrarbeihilfen erhält. Wie nicht anders zu erwarten, sorgte diese Nachricht für Aufregung. Denn den Griechen wird von ihrer Regierung gesagt, es gäbe keine Möglichkeit, sie angesichts der Rekordinflation weiter zu unterstützen. In Griechenland heißt es, gibt es keine „Geldbäume“, offenbar jedoch fürstliche Geldacker.

Mögliche Vorteile ohne Rücksicht ausnutzen

Der Vater des amtierenden Premierministers Griechenlands, Konstantinos Mitsotakis, hatte sich einst gerühmt, dass er mitten in der Hungersnot während der deutschen Besatzung im zweiten Weltkrieg, pro Tag dreimal bei Tafeln speiste. Er aß als Rechtsanwalt, als Kreter und als Student bei den jeweiligen Tafeln. Mitsotakis Senior meinte auch, dass er damals nicht schlafen konnte, weil so viele Menschen verzweifelt schluchzten „wir verhungern“.

Die Hungersnot forderte allein in Athen, wo Mitsotakis Senior gleich drei Vorrechte auf einmal ausnutzte, im Winter 1941-1942 mindestens rund 45.000 Todesopfer. Politisch geschadet hat es ihm in den Augen seiner Anhänger nicht. Es gehört zum Selbstverständnis vieler griechischer Liberaler, sämtliche Vorteile eines ansonsten verschmähten Staats auszunutzen. Mitsotakis Gegner belegten ihn dagegen zu Lebzeiten mit dem Namen des Bösen Zauberers aus den Schlumpfgeschichten, Gargamel, in Griechenland als „Dracumel“ bekannt. Die Assoziation zum blutsaugenden Grafen Dracula war durchaus beabsichtigt.

Der aktuell regierende Mitsotakis hat dagegen bei seinen Gegnern noch weniger schmeichelhafte Spitznamen. Anders als sein Vater, der über seine drei Tafeln mit Stolz selbst berichtete, schickt der Premier den Regierungssprecher vor.

Historische Rechte

Dieser, Giannis Oikonomou, vom Rang her Staatsminister im Amt des Premierministers und Abgeordneter des Parlaments, meinte beim Briefing der Journalisten am 14. Juni:

Der Premierminister übt seit vielen Jahren, auch in den letzten zehn Jahren, historische Rechte – das ist ein Begriff der Gemeinsamen Agrarpolitik – aus, was die Bedingungen für die Zahlung von Agrarbeihilfen betrifft, von Parzellen, die seiner Familie gehörten und in sein Eigentum übergingen.“

Er bemerkte zudem, dass es keine Möglichkeit gäbe, sich bei der EU für einen bestimmten Zeitraum von diesen Rechten befreien zu lassen. Der studierte Agronom Oikonomou berief sich ausdrücklich auf die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU. Vor seinem Amt als Regierungssprecher war er ministerieller Staatssekretär im Ministerium für Agrarentwicklung. An seiner theoretischen Fachkompetenz besteht somit kein Zweifel.

Laut offizieller Internetpräsenz der EU dient die GAP dazu:

  • Landwirten ein stabiles Einkommen zu bescheren und sie für eine umweltfreundliche Landwirtschaft zu entlohnen. Darüber hinaus soll die Landschaftspflege belohnt werden.

  • Die Bauern sollen gegen Marktturbulenzen abgesichert werden.

  • Auf nationaler Ebene soll die Entwicklung des ländlichen Raums gefördert werden.

Kein Antrag für keine Fördermittel – keine Lüge

Oikonomou sprach nicht unbedingt eine Lüge aus. Tatsächlich ist es in der GAP nicht vorgesehen, einen Antrag für die Nichtzuteilung von Fördermitteln zu stellen. Dagegen müssen EU-weit, auch in Deutschland, jedes Jahr Anträge für den Erhalt von Fördergeldern gestellt werden. Das, was Oikonomou als „historisches Rechts“ bezeichnete, ist das Verfahren, welches vorsieht, dass in Griechenland jedes Jahr zum 15. Mai alle Eigentümer von Agrarflächen ihre bewirtschafteten Flächen im nationalen „Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem“ anmelden müssen. Auf den einschlägigen Internetseiten in Griechenland ist nachzulesen, dass eine notwendige Voraussetzung für den Antrag ist, dass der jeweilige Antragsteller Bauer ist und diesen Beruf auch aktiv haupt- oder nebenberuflich ausübt. Dazu ist eine Eintragung ins Register der Landwirte und landwirtschaftlichen Betriebe nötig.

Damit Mitsotakis an die jeweils 8.500 Euro EU-Gelder für die Jahre 2020 und 2021 kommen konnte, musste er also jedes Jahr aufs Neue versichern aktiver Landwirt zu sein. Wie aus den Statements von Oikonomou hervorgeht, muss dies in den vergangenen zehn Jahren geschehen sein. Denn seit einer Dekade ist Mitsotakis der Eigentümer der Felder.

Ein kurzer Blick in Mitsotakis Vita zeigt, dass er in dieser Zeit durchgehend Abgeordneter im Parlament, vom 25. Juni 2013 bis 26. Januar 2015 Minister für Verwaltungsreform und E-Government war, seit dem 10. Januar 2016 Parteichef der mit knapp 400 Millionen Euro verschuldeten Nea Dimokratia ist und ab Juli 2019 sein Land als Premierminister regiert.

Dazwischen muss er trotz der Belastung zweier Wahlkämpfe Zeit gefunden haben, seine Felder zu bestellen. Mitsotakis politische Ideologie beruht darauf, einen schlanken Staat zu schaffen und möglichst viel zu privatisieren.

Nüchtern gesehen ist nach griechischem Recht Mitsotakis Vorgehen legal. Ob es moralisch und ethisch vertretbar ist, müssen die griechischen Wähler entscheiden. Noch kokettiert Mitsotakis bei jedem öffentlichen Auftritt damit, dass er die Legislaturperiode komplett, also bis 2023, ausschöpfen würde. Er schließt vorgezogene Neuwahlen aus. Allerdings befinden sich alle Parteien, auch die Nea Dimokratia, bereits im Wahlkampfmodus.

Die Chancen für Mitsotakis, nach seinem Vater, Antonis Samaras und Giorgos Papandreou der vierte Premier seit der Wiedereinführung der Demokratie, 1974, zu werden, der seine Wiederwahl verpasst, stehen nicht schlecht. Beobachter rechnen mit Neuwahlen Ende September bis Anfang Oktober, weil sie annehmen, dass die Regierung angesichts der zu erwartenden Teuerung von Energie und Lebensmitteln nicht riskieren wird, ohne neues Votum in den Winter zu gehen.

Der Spruch „es ist legal und daher auch ethisch“, der in abgewandelter Form zum Titel wurde, war der Rettungsversuch der Nea Dimokratia-Regierung von Kostas Karamanlis, die 2009 wegen der Weltwirtschaftskrise und zahlreicher Affären über die Vorteilsnahme von Regierungsmitgliedern in vorgezogene Neuwahlen ziehen musste und diese verlor.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Im Text erfährt der Leser, wieso in Griechenland das Geld nicht auf den Bäumen, aber auf bestimmten Feldern wächst. Dazu gehört, dass diejenigen, die für einen schlanken Staat plädieren, gern öffentliche Gelder für sich nutzen. Zudem werden in Griechenland wegen der Rekordinflation vorgezogene Neuwahlen erwartet.

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