Wie in einem B-Movie aus Hollywood

Beim jüngsten griechischen Skandal sind auf wundersame Weise sämtliche bislang regierenden Parteien, beziehungsweise einige prominente Vertreter beteiligt. Wie wahrhaftig die jeweilige mutmaßliche Beteiligung den Tatsachen entspricht, oder ob es sich um propagandistisch ausgeschlachtete Halbwahrheiten handelt, lässt sich nicht in jedem Fall sagen.

Regierung, Opposition und Medien führen in dieser Hinsicht einen Kleinkrieg, der bei der Wählerschaft schlicht die für die Demokratie gefährliche Reaktion, „alle sind gleich schlimm“, hervorruft. Als Kollateralschaden demonstrieren die griechischen Politiker, wie wenig die viel gerühmten Reformen in der Praxis wirklich brachten. Sie beutelten schlicht das einfache Volk, die oberen Zehntausend leben wie vor der Krise.

Verurteilter Unternehmer führt den griechischen Staat vor

Vor wenigen Jahren, zu Beginn der griechischen Staatsfinanzkrise, machten Meldungen über blinde Taxifahrer in internationalen Medien die Runde. Es gab tatsächlich Zeitgenossen, die sich ein Einkommen als professionelle Autofahrer verdienten, während sie gleichzeitig eine Rente als behördlich anerkannte Blinde kassierten. Dieses drastische Beispiel diente seinerzeit als Anschauungsobjekt für das komplette Versagen von Kontrollstrukturen im griechischen Staatsapparat. Ein Versagen, welches maßgeblich zur Misere des Landes beigetragen hatte.

Mehr als acht Jahre lang haben der Internationale Währungsfonds, die Europäische Union, die Europäische Zentralbank und der Europäische Stabilitätsmechanismus dem Land im Gegenzug zu Rettungskrediten Reformen, massive Steuererhöhungen und drastische soziale Einschnitte verordnet. Seit Ende August ist – laut EU und griechischer Regierung – die Zeit der Memoranden, wie dieser Zustand genannt wurde, vorbei.

In der Zwischenzeit ist ein Großteil der Bevölkerung Griechenlands verarmt. Das Bruttoinlandsprodukt ist gesunken, wie es im internationalen Vergleich nur in Ländern im Kriegszustand der Fall ist. Die zur Schaffung von Kontrollmechanismen installierte Bürokratie lässt zusammen mit dem sparbedingten Personalabbau Investoren und Bürger verzweifeln.

Jüngst verbrachte ein Geschäftsgründer mehrere Tage beim staatlichen Elektrizitätsunternehmen DEI/PPC (Public Power Company). Der Mann, der seinen Namen nicht genannt haben möchte, möchte knapp 90 km von seinem jetzigen Wohnort entfernt ein Laden für Nüsse und gerösteten Kaffee eröffnen. Er hat sämtliche Auflagen der Behörden erfüllt, sein Geschäft eingerichtet und wartet nur noch auf den Stromanschluss. Drei Tage waren nötig, weil wegen des Personalmangels die vom Automaten vergebenen Nummern für die Reihenfolge der Kunden bereits ab 8:15 h morgens vergriffen sind.

Wer es trotz dieser Hürde schafft, mit seinem Anliegen einen Sachbearbeiter zu erreichen, erfährt dann, dass irgendein Dokument, von dessen Existenz der Kunde meist keine Ahnung hat, fehlt. Im vorliegenden Fall war es eine Erklärung des Vermieters, dass er die Schulden, welche der Vormieter beim Stromunternehmen hat, nicht vom Nachmieter eintreiben wird. Also eigentlich eine Bestätigung, dass der tatsächlich zwischen dem jeweiligen Mieter und dem Elektrizitätsunternehmen abgeschlossene Vertrag von letzterem als unvollständig angesehen wird. Dieses surreal erscheinende Vorgehen wird den Kunden als notwendige Sicherheitsoption erklärt.

Die derart erschwerten bürokratischen Hürden lassen den jüngsten griechischen Skandal nur noch wirrer erscheinen. Die getürkten Bescheinigungen für nicht vorhandene Behinderungen gibt es nämlich immer noch. Schlimmer, sie halten zumindest beim ersten Hinsehen auch einer gerichtlichen Überprüfung stand, weil offensichtlich Kontrollmechanismen fehlen.

Energa & Hellas Power – verschwundene Millionen

Es geht um die causa Aristeidis Floros, einem Unternehmer, der der PPC Konkurrenz machen wollte. Zusammen mit seinen Geschäftspartnern führte er die Firma Energa – Hellas Power. Energa, früher ein Partner der Verbund Austria, war seit 1994 auf dem griechischen Markt tätig. Hellas Power hatte seinen Start 2008, gemeinsam mit dem Multiunternehmer Dimtrios Melissanidis gewagt. Sowohl die Österreicher als auch Melissanidis hatten sich bis 2011 von ihren früheren Partnern Floros (Energa) und Milionis (Hellas Power) getrennt. Beide Unternehmen gingen danach eine gemeinsame Partnerschaft ein, und boten Privat- und Geschäftskunden elektrischen Strom an. So weit, so gut.

Das gemeinsame Unternehmen gründete zur Steuervermeidung so genannte Off-Shore-Unternehmen außerhalb Griechenlands. Maßgeblich an dieser 2011 und 2012 erfolgten Konstruktion ausländischer Briefkastenfirmen soll als Rechtsanwalt -gemäß der bislang vorliegenden Informationen- ein späterer Belastungszeuge tätig gewesen sein.

Die in Griechenland eingenommenen Gelder gelangten so nach Singapur und über Umwege über Zypern und Montenegro wieder nach Europa. Den griechischen Strafverfolgern gelang es einen Teil der dem Staat geschuldeten Gelder auf Konten einzufrieren. Ein weiterer Teil befindet sich nach dem bisherigen Wissensstand auf „exotischen Konten“ (CNN Greece und TVSX.gr).

Der Belastungszeuge ist ein Neffe des aktuellen Vorsitzenden der Nea Dimokratia, Kyriakos Mitsotakis. Er war, gemäß den bislang vorliegenden Informationen, am aus rechtlicher Hinsicht legalen Konstrukt der Auslandsfirmen als juristischer Berater beteiligt. Ein Umstand, den die regierende SYRIZA-Partei weidlich ausnutzt.

Denn Mitsotakis stellte ihn nach dem ersten Skandal um Energa und Hellas Power als Berater für sein damaliges Ministerium ein. Die Regierungspartei verschweigt wissentlich, ebenso wie die ihr nahe stehenden Medien, dass der besagte Neffe mit seinen Aussagen erheblich zur Verurteilung der Täter beigetragen hat. Der Neffe, von Beruf Rechtsanwalt, möchte juristisch gegen die Presse und die Regierungspartei vorgehen.

Es wird von den jeweils Regierenden gern übersehen, dass Steuern vermeidende Geschäftsmodelle nicht per se illegal sind, sondern in der Natur des Kapitalismus liegen. Das passt nicht in das Narrativ, obwohl jeder Unternehmer, der seine Finanzen und Verpflichtungen nicht diesbezüglich plant, unweigerlich bankrottgehen würde. Jegliche legale Vermeidung von Steuerpflichten wird, wenn es politisch ins Konzept passt, von den griechischen Parteien als illegale Steuerhinterziehung gebrandmarkt.

In der Regel werden bei solchen regelrechten Verleumdungskampanien des Unternehmertums die jeweils der eigenen Partei freundlich gegenüber stehenden Oligarchen von der Kritik verschont. Große Investoren, die in Griechenland Staatsbesitz aufkaufen, lassen sich Steuernachlässe gern in den Kaufvertrag schreiben. Dagegen haben kleinere Unternehmer, Angestellte und Rentner überhaupt keine Chance, der exorbitant hohen griechischen Steuerbelastung aus dem Weg zu gehen.

Worum es bei dem ersten Skandal tatsächlich ging? Nach Ansicht der PPC und des griechischen Fiskus hatte es das private Energieunternehmen versäumt, rund 256 Millionen Euro an mit der Stromrechnung der Kunden treuhänderisch eingenommenen Steuern, sowie Entgelten für Energielieferungen abzuführen. Die Millionen fanden sich stattdessen teilweise auf Auslandskonten, welche von Milionis und Floros kontrolliert wurden. Das private Stromunternehmen machte hingegen geltend, dass ihm Zahlungen der PPC geschuldet würden und das Geld deshalb zurückgehalten wurde.

Langsame Justiz mit milden Strafen

Die juristische Aufarbeitung der gesamten 2011/2012 bekannt gewordenen Vorfälle ist auch heute noch nicht in letzter Instanz abgeschlossen. Vasilis Milionis, der frühere Geschäftspartner von Aristeidis Floros wurde im Februar 2017 wegen einfacher Tatbeteiligung zu einer zehnjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Das Gericht stufte jedoch das früher ehrenvolle Leben des jungen Unternehmers als strafmildernd ein, und setzte die Verbüßung der Haft auf Bewährung aus. Fällig waren somit schlicht 70.000 Euro Garantiezahlung für die Bewährung.

Während also gleichzeitig in Deutschland die Sportikone Ulli Hoeneß zumindest 21 Monate seiner 42 Monate Haft absitzen musste, kam Milionis noch glimpflicher davon. Die öffentliche Meinung, die in Presseberichten Milionis auf Mykonos Arm in Arm feiernd mit der PASOK-EU-Parlamentarierin Eva Kaili sehen konnte und von allein an einem Abend verprassten 80.000 Euro erfuhr, zeigte sich entsprechend „begeistert“.

Normalen Griechen drohen für erheblich kleinere Vergehen drakonische Strafen. Die Verurteilung von Omas, die ohne Gewerbeanmeldung zur Verbesserung des Lebensabends rund um Märkte selbstgestrickte Pullover und Socken oder im Garten angebaute Tomaten oder geröstete Kastanien feilbieten, ist dabei nur ein Beispiel. Der Staat geht gegen diese Personenkreise rigoros vor. Die Mindeststrafe liegt bei Existenz bedrohenden 5000 Euro, mehr als den alten Frauen im Jahr an Einkommen zur Verfügung steht. Milionis ist juristisch gesehen nur für sein Unternehmen Hellas Power verantwortlich. Er geht gegen griechische Medien vor, die seine heutigen unternehmerischen Aktivitäten -zusammen mit Mutmaßungen über angebliche Investitionen- in einen Zusammenhang mit seinem früheren Partner Floros bringen.

Floros‘ juristisches Abenteuer ist zudem erheblich verwirrter. Der 39-jährige Unternehmer wurde in erster Instanz nicht nur wegen der verschwundenen Millionen, sondern auch wegen Beteiligung an einem Mordanschlag verurteilt. Gegen beide Urteile hat Floros Berufung eingelegt, so dass der Rechtsgrundsatz der Unschuldsvermutung weiterhin gilt. Insgesamt erhielt Floros bislang eine Haftstrafe von 21 Jahren Zuchthaus, sowie eine Geldstrafe von 1,5 Millionen Euro.

Floros soll 2014 Auftraggeber für den versuchten Mord am damaligen Chef der Regulierungsbehörde für den Elektrizitätsmarkt Georgios Antonopoulos gewesen sein, behauptet die Staatsanwaltschaft. Floros früherer Anwalt, Michalis Zafeiropoulos wurde im Oktober 2017 in seinem Büro im Auftrag von mutmaßlichen Tatkomplizen Floros´, zwei einschlägig vorbestraften, geständigen Albanern, in seinem Büro regelrecht hingerichtet.

Aus ungerechtfertigten Entlassungen nichts gelernt!

Trotz des ausstehenden Berufungsverfahrens für den Mordanschlag konnte Floros ein Amnestiegesetz nutzen. Der erste Justizminister von Alexis Tsipras, Nikos Paraskevopoulos, hatte es im ersten Halbjahr 2015 erlassen. Zur Entlastung der Haftanstalten können mit Paraskevopoulos‘ Gesetz große Teile der Haftstrafe unter anderem dann ausgesetzt werden, wenn entweder eine schwere Krankheit vorliegt - oder aber die Tat im jugendlichen Alter begangen wurde. Mit dem gleichen, von vielen Seiten kritisierten Gesetz kaum Hussein Khavari, der verurteilte Mörder und Vergewaltiger der Freiburger Studentin Maria L. auf freien Fuß, nachdem er wegen einer brutalen Vergewaltigung samt Mordversuch in griechischer Haft saß.

Floros hat den für das Amnestiegesetz erforderlichen Teil seiner Haft für den Finanzskandal der Energa bereits abgesessen. Beim Mordfall wurde, da Floros bereits in langjähriger Haft saß, nach der Berufung gegen das Urteil kein neuer Haftbefehl ausgestellt. Was dem jungen Mann zur Entlassung fehlte, war eine entsprechende gesundheitliche Einschränkung.

Floros, in der Haftanstalt von Chalkida einsitzend, legte dem zuständigen Gericht Dokumente vor, die ihm eine siebzigprozentige Behinderung bescheinigten. Demnach würde, wie an die Presse durchsickerte, Floros unter schweren Depressionen, Schlaf-Apnoe, Epilepsie und Chronisch obstruktiver Lungenerkrankung leiden.

Die Grade der jeweiligen Behinderungsprozente wurden laut dem entscheidenden Dokument addiert, so dass die erforderliche Grenze von mindestens siebenundsechzig Prozent überschritten wurde. Die Addition der einzelnen Werte ist nicht selbstverständlich. Die Regeln für den Grad einer Behinderung wurden während der Krise mit dem Ziel verschärft, soziale Zuwendungen und Frühverrentungen zu vermeiden.

Zum Vergleich, Krebskranke mit Hodkins Syndrom müssen während ihrer Therapie und für maximal ein Jahr mit einem anerkannten Behinderungsgrad von 50-67 Prozent rechnen, können also die magische Grenze von siebenundsechzig Prozent nicht überschreiten. Eben dies brachte, als die Entlassung Floros‘ öffentlich wurde, die ersten Kritiker auf den Plan.

Diese Reaktionen blieben auch bei den Politikern nicht ohne Folgen. Die Opposition unter Kyriakos Mitsotakis wetterte, dass Tsipras Regierung zu lasch gegenüber – namentlich in den ersten Erklärungen nicht genannten – verurteilten Betrügern sei. Die Presse nahm das Thema dankbar auf, handelte sich jedoch Drohungen von Unterlassungsklagen seitens Floros ein.

Schließlich brach der nicht für seine Zimperlichkeit bekannte Vize-Gesundheitsminister Pavlos Polakis den Bann. Er veröffentlichte auf Facebook das fragliche, die Behinderung Floros attestierende Dokument. Darauf sind sämtliche persönliche Daten des Freigelassenen verzeichnet. Es handelt sich somit im Rahmen der geltenden Datenschutzbestimmungen um einen eindeutigen Rechtsbruch. Theoretisch kann mit der Kenntnis dieser Daten in Zukunft auch eine eventuelle Rentenzahlung an Floros abgerufen werden. Die Rentenkasse erteilt ihre Bescheide nämlich nur noch elektronisch und online.

Rasch stellte sich heraus, dass der Freigelassene von den Ärzten, welche die Atteste unterschrieben, gar nicht untersucht worden war. Die Mediziner erklärten, ihre Unterschrift sei gefälscht, sie bestritten, den betreffenden Patienten je gesehen zu haben. Vom Gericht, das die Freilassung Floros‘ anordnete, gab es somit offenbar keine Nachfragen. Ansonsten wäre der Schwindel bereits frühzeitig aufgeflogen.

Am Wochenende stellte sich heraus, dass ein anderer, mit Floros weder verwandt noch verschwägerter Aristeidis Floros mit einer anderen Sozialversicherungsnummer, anderen persönlichen Daten und anderer Steuernummer tatsächlich in einem der Krankenhäuser untersucht wurde. Offenbar hat jemand mit Zugang zu den Patientenakten die entsprechenden Dokumente aus dem Jahr 2015 verfälscht und auf Floros, den Verurteilten „zugeschnitten“.

Die Justiz sah sich durch die gesamte Affäre in ihrem Ehrgefühl bedroht. Sie schaffte etwas, was ansonsten als unmöglich gilt. Innerhalb von wenigen Stunden tagte am Freitag das Berufungsgericht von Chalkida und kam zur Entscheidung, die Entlassung als auf betrügerischen Unterlagen beruhend zu widerrufen. Gegen Mitternacht wurde, wie das Gesetz es vorschreibt, den Strafverfolgern eine Reinschrift des Urteils vorgelegt. Damit war die Grundlage für die erneute Inhaftierung Floros geschaffen.

Ein lang gezogenes Verfahren zur Personenkontrolle verhindert die Flucht

Zu Gute kam dem Staat der Einfallsreichtum seiner Beamten, die ansonsten mit Anordnungen seitens der politischen Führung an der Ausnutzung des Entscheidungsspielraums gehindert werden. Die Polizei hatte den Unternehmer seit seiner Freilassung überwacht. Den Auflagen gemäß hätte er sich an seiner angegebenen Wohnadresse aufhalten sollen. Während das Gericht in Chalkida noch tagte, hegten die Polizisten den Verdacht, dass Floros die Gunst der Stunde zur Flucht nutzen könnte.

Eine Festnahme allein auf diesen Verdacht hin ist auch in Griechenland nicht ohne vorliegenden staatsanwaltschaftlichen Haftbefehl möglich. Das, was die Polizisten jedoch ausnutzen konnten, war die Tatsache, dass Floros sich nicht zu Hause, sondern in der Wohnung einer befreundeten Person aufhielt. Sie hielten ihn „zur Überprüfung der Personalien“ fest und brachten ihn aus dem vorgeblich gleichen Grund zur Polizeiwache. Dort zog sich das Verfahren so lange hin, bis aus Chalkida grünes Licht zur Verhaftung kam.

Die verschwundenen Millionen sind indes immer noch nicht zurück im Staatssäckel. Das Vorgehen von Polakis und den Polizisten mag als Ergebnis die als gerecht empfundene Verhaftung Floros‘ haben. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit der Rechtsstaat durch die Veröffentlichung von internen Dokumenten und durch die schikanös in die Länge gezogene Personenüberprüfung gewahrt bleibt.

Alles in Allem bleibt bei der causa Floros ein sehr bitterer Beigeschmack zurück.

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