Die Staatspleite und die Pleite der Bürger

Die griechische Staatspleite von 2010 brachte tiefe soziale Einschnitte, eine langanhaltende Rezession aber auch staatlich verordnete Gehaltskürzungen für die Bürger. Mit gekappten Löhnen, gekürzten Renten und neu eingeführten Steuern und Belastungen konnten viele ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen - sofern sie überhaupt noch Einkommen hatten. Denn die Arbeitslosigkeit stieg in nie gekannte Höhen. 2013 war rund ein Drittel der Bevölkerung arbeitslos. Bei den unter 24-jährigen gab es sogar eine Quote von 60 Prozent. Ohne Bürgergeld-System bedeutete das, dass die Familien für die Lebenshaltung arbeitsloser Mitglieder aufkommen mussten.

Die Staatspleite sorgte für eine massive Wirtschaftskrise. Von 2010 bis 2016 ging mehr als ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts verloren. Die Kaufkraft der Griechen lag noch 2023 rund ein Drittel niedriger als im letzten Jahr vor der Pleite 2009. Dass ein derartiger kollektiver Einkommensverlust das Familienbudget und die Fähigkeit zur Rückzahlung von Kreditraten komplett auf den Kopf stellt, liegt auf der Hand. Zudem sanken zwischenzeitlich bis 2017 die Immobilienpreise.

Die Banken gingen dazu über, für Umschuldungen von Konsumentenkrediten, selbst für Geschäftsdarlehen und auch in vielen weiteren Fällen Hypotheken als Sicherheit zu verlangen. Mit in den Strudel der Kreditkrise gerieten Bürgen, die unter vollkommen anderen wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen für Freunde oder Verwandte die Bürgschaft übernahmen.

Das wirtschaftliche Chaos wurde dadurch komplementiert, dass Selbstständige und Freiberufler auch nach einer Pleite weiter Sozialversicherungsbeiträge abführen mussten. Zudem wurden Steuern auf Rechnungen mit der Ausstellung der Rechnung fällig. Der Staat wollte somit schneller seine Einnahmen, wie die Umsatzsteuer, abschöpfen. Fiel die Zahlung der Rechnung durch in Finanznöte geratene Kunden aus, hatte der Leistungserbringer ein doppeltes Problem. Es gab in Griechenland noch kein Privatinsolvenzrecht, wie es zum Beispiel aus Deutschland bekannt ist.

Die „Möglichkeit zur zweiten Chance“ wurde insolventen Selbstständigen erst ab 2016 eingeräumt. Für Privatpersonen gibt es sie seit 2020.

Bankenrettung hatte Vorrang

Während der ersten Jahre nach der Staatspleite hatte die Rettung der Geldinstitute Vorrang. Wobei nicht alle gerettet, sondern vielmehr durch Fusionen vier große systemische Banken geschaffen wurden. Die Banken mussten wegen der Verluste durch den Haircut bei den griechischen Staatsanleihen gestützt werden. Die zunehmend wachsende Zahl fauler Kredite belastete die Bankbilanzen.

Auf Druck der Kreditgeber wurden die faulen Immobilienkredite in „Bad-Banks“ ausgelagert und die Banken weiter gestützt. Hedge-Fonds erwarben die Hypotheken weit unter dem Nominalpreis und sind nun damit beschäftigt, die Kredite von den Schuldnern einzutreiben. Einem Erwerb der Hypotheken zum ähnlich niedrigen Preis - also eine Art „Haircut“ für Schuldner - wurde, erneut auf Druck der internationalen Kreditgeber ein Riegel vorgeschoben. Ansonsten wären neben unverschuldet Bedürftigen auch systematische Zechpreller belohnt worden, lautete die Argumentation.

Dass es hunderttausende unverschuldet in Not geratene Bankkunden gab, wurde niemals bestritten. Sie erhielten zunächst einen temporären Versteigerungsschutz, sowie nach individuellen Gerichtsverfahren eine Stundung der Rückzahlung eines Teils ihrer Kredite für einige Jahre. Wirklich gelöst wurde das Problem dadurch nicht – nur aufgeschoben. Obwohl es seitens des Staats nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs und der resultieren Inflation samt Zinsrally gemäß definierter Einkommenskriterien Beihilfen zur Bewältigung der stark angestiegenen Zinsen gab, droht mehreren Zehntausend Schuldnern die Zwangsversteigerung.

Soziale Spannungen wegen Zwangsräumungen

Solche Versteigerungen und die resultierenden Räumungen finden statt. Vor allem wenn es Rentner, körperlich Behinderte oder Krebskranke betrifft, ist der Aufruhr in der Öffentlichkeit groß. So auch als im Mai 2023 ein 81-jähriger beinamputierter Rentner samt Rollstuhl aus dem Wohnhaus seiner vergangenen 50 Jahre auf der Halbinsel Chalkidiki buchstäblich auf die Straße gesetzt wurde. Im Rollstuhl harrte er danach – ohne Wohnsitz – in einer Bretterbude vor dem von ihm eigenhändig erbauten Haus aus.

Es selbst war nicht Kreditnehmer, musste aber als Bürge für die Schulden seines Sohnes einstehen, als dieser wegen der Krise arbeitslos wurde und die Bank mit einer Refinanzierung die offensichtliche Insolvenz verschleppte. Das Haus selbst wurde für einen Bruchteil seines Wertes, die Höhe der Schulden des Sohnes, versteigert. Die entsprechenden Szenen der Räumung in Prime Time Fernsehsendungen und Nachrichten verfehlten ihre Wirkung nicht.

Mieten und Zurückkaufen – inklusive Sozialhilfe

Der geschilderte Fall ist kein Einzelfall. Auch ohne Bürgergeld gibt es in Griechenland mittlerweile Mietbeihilfen von 70 bis 210 Euro für geringverdienende Bürger. Zudem gibt es bei den Versteigerungen gepfändeter Immobilien regelmäßig Probleme mit den erzielbaren Preisen. Viele Versteigerungen - stolze 70 Prozent - enden beim ersten Versuch fruchtlos. Bei einem Großteil werden Preisabschläge in Bezug auf den realen Marktwert von mehr als 30 Prozent registriert. Das wiederum gefährdet die Entwicklung des gerade erst erholten Immobilienmarkts.

Warum nicht alles vereinfachen? So könnte man die neue Grundidee der Regierung zusammenfassen. Der neu geschaffene Träger, die Agentur für Immobilienerwerb und -vermietung, ist ein staatlich lizensiertes privates Unternehmen. Vier Investitionsfonds haben sich für die Lizenz beworben. Der Staat stellt sicher, dass die Agentur die Immobilien bei der Versteigerung mit einem Abschlag von 30 % auf den Handelswert der Immobilie bzw. den Erstgebotspreis, der bei einer Versteigerung verlangt worden wäre, erwerben kann. So ist der Schuldner mit einem Schlag seine Schulden los.

Der Preisabschlag soll einen Rückkauf der Immobilie vereinfachen, aber das Geschäft auch für die Investoren schmackhafter machen. Schließlich sind mit dem Kauf einer Immobilie oft schwer abzuschätzende Folgekosten mit einzukalkulieren. In der Folge vermietet die Agentur die Immobilie an den früheren Eigentümer, der für die Miete Aussicht auf staatliche Beihilfen hat. Erholt sich der Schuldner wirtschaftlich, kann er ohne weitere Belastung „seine“ Immobilie für den von der Agentur bezahlten Preis zurück erwerben.

Die Regelung gilt nur für die einzige Wohnung von zahlungsunfähigen Betroffenen, nicht für Zweitwohnsitze oder gar Villen. Hinsichtlich des Immobilienwerts und der Höhe des Familieneinkommens des Schuldners gibt es Grenzen. Starten soll die Agentur im zweiten Quartal 2024. Das Konzept wurde bereits in einer Vorphase erfolgreich mit rund 200 Schuldnern, die sich freiwillig gemeldet hatten, getestet.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Wie geht es mit der Bewältigung der Folgen der griechischen Staatspleite weiter? Im Text erfahren die Leser, was es mit der neuen griechischen Agentur für Immobilienerwerb und -vermietung auf sich hat. Der griechische Staat versucht damit, einen Teil der Verantwortung für die Verarmung der Bürger wegen der Staatspleite zu übernehmen. Es ist eine Erweiterung des Insolvenzrechts für Privatpersonen, welche den Verbleib der Insolventen in der angestammten Wohnung sicherstellen, und diese damit vor der Obdachlosigkeit bewahren soll. Ist das Modell eventuell übertragbar?

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