Ich bevorzuge, mich dieser Frage von der realwirtschaftlichen Seite zu nähern. Stellen wir uns zunächst die Frage, ob die arbeitende Bevölkerung in unserer heutigen Zeit der Automatisierung und Digitalisierung tatsächlich nicht dazu in der Lage ist, einer wachsenden Anzahl von Pensionären die erforderlichen Konsumgüter zur Verfügung zu stellen. Gibt es wirklich ein Problem damit, genügend Wohnraum, Nahrungsmittel, Konsumprodukte, Freizeitangebote usw. für unsere Rentnerinnen und Rentner zu erwirtschaften?

Produktivität steigt stetig an

Die Statistiken sprechen dazu eine klare Sprache: Die Produktivität eines einzelnen Erwerbstätigen ist sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland ziemlich konstant über die letzten Jahrzehnte gestiegen. In den meisten westlichen Industriestaaten lag dieser Zuwachs inflationsbereinigt bei 100-150% seit 1970 und bei etwa 25% seit 2000. Ein Einzelner ist damit also in der Lage, einen real mehr als doppelt so hohen Rentenbeitrag zu leisten wie 1970. Hat sich derweil die Zahl der Rentner verdoppelt oder die der Erwerbstätigen halbiert?

Neben der Anzahl der Rentner steigt auch die Anzahl der Erwerbstätigen

Dem ist nicht so: Die Zahl der Erwerbstätigen und AHV-Beitragszahlern hat in der Schweiz - entgegen aller demographischen Sorgen - seit dem Jahr 2000 um etwa 25% zugenommen, die Zahl der Rentner ist im gleichen Zeitraum um 39% gestiegen. In Deutschland waren es immerhin noch 5% Zuwachs bei den Beitragszahlern und 11% bei den Rentenbeziehern.

Die entscheidende Kennzahl für die Fähigkeit einer Gesellschaft, ihre Rentner zu finanzieren, ist aber letztlich das BIP pro Kopf. Während es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor sich hin dümpelte, erfährt es seit dem 2. Weltkrieg ein mehr oder weniger kräftiges und konstantes Wachstum und hat sich in der Schweiz, in Deutschland und anderen westlichen Industriestaaten seitdem real etwa verfünffacht.

Dieses Wachstum hält auch seit der Jahrtausendwende an. Das heißt für jeden Bürger vom Säugling bis zum Rentner steht heute inflationsbereinigt fünfmal mehr erwirtschaftetes Kapital zur Verfügung, als noch vor 70 Jahren.

Die gesetzliche Rentenversicherung gibt es bereits seit 130 Jahren und sie hat funktioniert, obwohl es den Arbeitnehmern in Summe damals viel schwerer fiel, die Rentenkasse aufzufüllen. Seitdem wächst und wächst der Kuchen und jedes einzelne Stück davon könnte auch wachsen.

Das Problem mit der Rente

Tut es aber nicht, was uns als Problem der umlagefinanzierten Rente verkauft wird. Tatsächlich handelt es sich aber - wie wir gerade gesehen haben - um ein Verteilungsproblem.

Dieses Problem besteht aus 2 Fragen:

Einer moralischen, nämlich welchen Spread im Einkommen sind wir bereit in einer Leistungsgesellschaft zu akzeptieren? Sind das 1:12 wie kürzlich in einer Schweizer Volksabstimmung verworfen, 1:50 oder 1:100 - zwischen dem mit dem geringsten und dem mit dem höchsten Einkommen?

Die zweite und für die Rentenfrage wesentlichere Frage lautet: Ab welcher Höhe stellen Einkommen ein systematisches Problem dar? Ich gehe soweit zu sagen, dass auch 1:100 hier noch absolut kein Problem ist. Problematisch wird es erst dann, wenn die Erwerbsempfänger im Geld ersaufen. Wenn sie nicht mehr in der Lage sind, das Geld auf welche Art auch immer in den Wirtschaftskreislauf zurückzuführen.

Dieses erhebliche Problem massiver Kapitalkonzentrationen betrifft nur eine verschwindend geringe Anzahl von Menschen, wird aber völlig anders thematisiert. In der öffentlichen Diskussion über Verteilungsfragen wird das Narrativ Millionär gegen Sozialhilfeempfänger gepflegt.

Unser Problem sind aber keine Millionäre, sondern eine Hand voll Milliardäre, deren Vermögen und Einkommen phantastische Ausmaße erreicht haben. Wenn 45 Menschen in Deutschland sich die Hälfte des Kuchens untereinander aufteilen, ist es kein Wunder, dass es Engpässe im klassischen Rentensystem gibt, wie wir es seit den Zeiten Bismarcks kennen.

Kapitalabflüsse reißen Lücke in das Rentensystem

Die Lücken, welche diese Kapitalabflüsse in die Hände weniger in das Rentensystem reißen, versucht man in der Schweiz seit den 70er Jahren und in Deutschland seit den 2000er Jahren in zunehmenden Maße durch private Altersvorsorge in den Anleihen- und Aktienmärkten zu stopfen.

Zu glauben, dass das, was die arbeitende Bevölkerung angeblich nicht leisten kann, das arbeitende Geld schon bewerkstelligen wird, ist ein sehr optimistischer Ansatz, der sich mir bisher nicht erschlossen hat. Weil die Wirtschaft die Renten nicht mehr direkt erarbeiten kann, investieren wir über den Umweg Finanzmarkt in die Wirtschaft, um diese Lücken zu schließen? Ernsthaft?

Das Säulenmodell in der Schweiz birgt Gefahren in sich

In der Schweiz reden wir dabei über die obligatorische Säule 2, in deren Pensionsfonds direkt ein Teil des Gehalts wandert und die freiwillige Säule 3, in welche der Vorsorgende steuerfrei investieren kann.

Vor allem in Säule 3 gebart sich der Staat dabei in zentralplanerischer Manier als Regulator. So kann der Anleger hier großzügig zwischen starren und unflexiblen Anlageformen mit z.B. 25, 50 oder 75 % Aktienanteil entscheiden, welche sich abgesehen von der dreiteiligen Gewichtung der Assetklassen in nichts Substanziellem unterscheiden - außer vielleicht dem Namen der enthaltenen Bankaktien.

Ein katastrophaler Ansatz, der in von Notenbankprogrammen manipulierten und von Algotradern kontrollierten Märkten auf kurz oder lang zu herben Verlusten führen muss. Die Bevölkerung in solche Anlageformen zu treiben, ist wie Reservisten mit Mistgabeln bewaffnet in den 3. Weltkrieg zu führen. Mit der staatlich geförderten Investition in auf Kredit aufgepumpte Aktienmärkte und Anleiheblasen begehen reihenweise Existenzen finanzielle Selbstverstümmelung.

Die Krise der Pensionssysteme braut sich zusammen

Die kommende große Krise in den Pensionssystemen der Welt braut sich in diesen Tagen zusammen und erste Anzeichen sind nach Jahren des Anlagenotstands bereits zu spüren. Die kapitalbasierten Pensionssysteme werden uns früher oder später um die Ohren fliegen und dann werden wir mit einem Schlag vor den Scherben unserer Politik der letzten Jahrzehnte stehen. Der Katzenjammer wird dann wieder furchtbar groß sein. Übrig ist es dann alleine die Säule 1 - die auf einem Generationsvertrag basierende umlagefinanzierte Rente -, welche seit 130 Jahren inmitten aller weltpolitischer Wirren ihren Dienst geleistet hat und immer leisten wird, solange noch irgendwo Wirtschaft stattfindet.


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