Erdogan gibt allein Russland und Syrien die Schuld

Nach einer offiziellen Bestätigung zum Tod <link wirtschaftsfacts beitrag russland-tuerkei-beziehungen-an-maximaler-belastungsgrenze>von 33 türkischen Soldaten im Zuge der durch Russland zur Befreiung Idlibs unterstützten Militäroffensive der syrischen Armee vom 27. Februar, hat der türkische Staatspräsident Erdogan reagiert, indem er die Schuld für das Ableben der eigenen Soldaten in Gänze auf die Schultern Syriens und Russlands verteilte.

Hierbei hat Erdogan auf erfolgreiche Weise eine Erwähnung der unkomfortablen Tatsache vermieden, dass die Türkei sich über viele Jahre nicht nur als Beschützer von radikalen Terrornetzwerken in Idlib, sondern auch im Rest des syrischen Staatsterritoriums erwiesen hatte.

Während dieser Zeit haben islamistische Kräfte innerhalb der Türkei, die sich einen Sturz der Regierung von Baschar al-Assad im Nachbarland auf die Fahnen geschrieben haben, den Versuch unternommen, eine komplexe geopolitische Rolle in diesem Konflikt zu spielen, für welche diese Kräfte völlig unqualifiziert sind.

Türkei als Platzhalter des NATO-Bündnisses im Mittleren Osten

Als einer der wichtigsten Platzhalter des NATO-Bündnisses hatte sich die Türkei ursprünglich selbst darauf vorbereitet, Zugang zur Europäischen Union im Angesicht des Versprechens zu erhalten, als loyales Mitglied der neuen Weltordnung die lokale Kontrolle im Mittleren Osten ausüben zu dürfen.

Ambitionen bezüglich einer Revitalisierung des Ottomanischen Imperiums machten Erdogan zu einem enthusiastischen Befürworter eines Regimewechsels im Mittleren Osten. Wie die Journalistin Eva Bartlett über viele Jahre dokumentiert hat, nahm die Türkei ihre Rolle als Lieferant von logistischen, militärischen, ausbildungstechnischen und finanziellen Unterstützungsleistungen zugunsten von verschiedenen Terrorgruppen, die sich einer Maskerade der gegen al-Assad opponierenden Freiheitskämpfer bedienten, ein.

Gülen-Putschversuch als Antwort auf Erdogans Strategiewechsel brachte Ernüchterung

Als diese verfolgte Strategie fast in einer Ausradierung der Türkei auf der Weltkarte resultiert hätte, nachdem es am 24. November 2015 zum Abschuss eines russischen Kampfjets über syrischem Staatsgebiet (die Behauptungen, laut denen der russische Kampfjet in türkisches Hoheitsgebiet eingedrungen sei, sind längst widerlegt), begann Erdogan damit, sein Handeln zu ändern, indem er am 27. Juni 2016 zuerst einen Entschuldigungsbrief an Putin schrieb, und danach einen dramatischen Strategiewechsel einleitete.

Für diesen dramatischen Strategiewechsel wurde der Türkei seitens Washingtons mittels eines landesweiten Putschversuchs gedankt, der am 15. Juli 2016 durch Anhänger des sonderbaren CIA-Aktivpostens Fethullah Gülen eingeleitet wurde. Die hiermit einhergehende Rückkehr zu einem Blick auf die sich darstellenden Realitäten führte in der Türkei zu einiger Ernüchterung sowie einer sich wiedereinstellenden Klarsicht, was eine abgeschwächte Regimewechsel-Rhetorik zur Folge hatte.

Gleichzeitig öffneten sich wieder diplomatische Kanäle in Richtung Russlands und Syriens, während viele Aktivitäten zur Unterstützung von ISIS-Kräften (insbesondere im Angesicht der bis dahin ausgeübten Rolle der Türkei als hauptsächlicher Abnehmer von durch ISIS-Kräften aus syrischen Erdölfeldern gestohlenen Ölvorräten) aufgegeben wurden, um fortan eine weniger aggressive Rolle in der Region zu spielen…doch nicht ganz.

Türkische Militärposten in Idlib & Unterstützung von ISIS

Ein Teil der im Jahr 2017 abgehaltenen Verhandlungen in der kasachischen Hauptstadt Astana (und den sich hieran anschließenden Verhandlungen zwischen Russland, Syrien und der Türkei in Sochi), beinhaltete den Aufbau von zwölf ständigen Militärobservationsposten in der Provinz Idlib durch die Türkei, mittels denen sich die bis dahin bereits umfangreichen Militärobservationsposten der Türkei in Idlib auf 29 erhöhten.

Welchen Aktivitäten die Türkei (auf syrischem Staatsgebiet) nachging, wurde in der westlichen Presse niemals zum Thema gemacht, doch im Jahr 2017 erklärte Brett McGurk, seines Zeichens Sonderbevollmächtigter der Globalen Koalition im Kampf gegen ISIL, im Rahmen einer Mittelostkonferenz, dass „die Provinz Idlib sich als größter, sicherer Hafen aus Sicht von al-Qaida-Kräften seit 9/11 erweist“.

In einem seltenen Moment der Stichhaltigkeit im Jahr 2014, gab selbst der sich normalerweise bedeckt haltende Joe Biden zu, dass sich die Türkei als großer Unterstützer von ISIS (wofür Biden im Anschluss ordentlich geohrfeigt wurde, worauf dann eine offizielle Entschuldigung folgte) erwiesen habe.

All diese Anzeichen für Ehrlichkeit sind seitdem schon seit langer Zeit wieder aus Bidens Gedankenwelt verschwunden, was Tulsi Gabbard aus heutiger Sicht zu der einzigen Präsidentschaftskandidatin der Demokraten macht, die auf diese unkomfortable Tatsache öffentlich aufmerksam macht.

Neue Seidenstraße: Wiederaufbaubestreben Russlands und Chinas

Im Gegensatz zu den Forderungen Ankaras, die auf eine Einstellung der aktuell anhaltenden Anti-Terror-Operationen in Idlib drängen, und gar soweit gehen, um Russland mit Krieg zu drohen, sind syrisch-russische Truppen in hohem Tempo und mit großem Erfolg in der Region in dem Wissen weiter vorgedrungen, dass, falls diese letzte Zone von Eindringlingen gesäubert würde, sich alle übrigen Terror-Bedrohungen in der Region auf angemessene Weise adressieren ließen, um hernach mit dem Wiederaufbau zu beginnen.

Es ist kein Geheimnis, dass dieser Wiederaufbau in Syrien größtenteils unter der Regie der neuen Partnerschaft zwischen Russland und China vonstattengehen würde. Insbesondere die Chinesen haben über die letzten Jahre Milliarden von US-Dollars bei gleichzeitiger Ingenieur- und Bauunterstützung im Angesicht der Belt and Road Initiative in Aussicht gestellt.

Moskaus Antwort auf Ankaras Drohung

Das Projekt der Neuen Seidenstraße der Chinesen zielt darauf ab, direkt durch den Iran, den Irak und Syrien zu verlaufen, deren Länder mittels einer Multi-Billionen-US-Dollar-Initiative transformiert würden. In Reaktion auf Ankaras johlende Drohgebärden hat das russische Außenministerium geantwortet, indem zwei Dinge unmissverständlich klargestellt wurden:

  1. Die Türkei habe sich davor gedrückt, ihren Teil der im Jahr 2018 in Sochi getroffenen Vereinbarung in Bezug auf die Provinz Idlib, welche eine Separation der Terroristen von gemäßigten Kräften vorgesehen habe, einzuhalten. Vielmehr habe die Türkei hierbei auf ganzer Linie versagt.

  2. Das türkische Militär habe keine Bemühungen erkennen lassen, um die Standorte der eigenen Truppen kenntlich zu machen, was sich im Angesicht einer laufenden Militäroperation als sonderbar erweise. In beiden Fällen, wie Außenminister Lawrow deutlich machte, „verfüge die syrische Armee über eine volle Berechtigung, ihrerseits zurückzuschlagen und terroristische Gruppierungen zu bekämpfen“.

Türkei lässt NATO-Botschafter einberufen & unternimmt Erpressungsversuch

In Reaktion auf den Tod der türkischen Soldaten hat die Regierung in Ankara Artikel 4 des NATO-Paktes ausgelöst, um eine Zusammenkunft von allen 29 NATO-Botschaftern einzuberufen. In Ankara wurde darauf gehofft, dass eine solche Zusammenkunft in der Verhängung einer Flugverbotszone über der Provinz Idlib samt einer Belieferung mit Patriot-Flugabwehrsystemen resultieren würde.

Um den Druck zu erhöhen, hat Erdogan selbst den Versuch unternommen, die Allianzpartner der NATO zu erpressen, indem er auf die Migrantenkarte setzte und erstmals innerhalb von vier Jahren eine Öffnung der türkischen Nordgrenzen zugunsten von Millionen von syrischen Flüchtlingen, die lange schon darauf hoffen, auf dem Land- oder Seeweg nach Europa weiter ziehen zu können, öffnete.

NATO will keine zweite Front gegen Russen

Nach der Migrationskrise in den Jahren 2015 und 2016, in deren Zuge Millionen von Flüchtlinge aus Kriegsgebieten wie Syrien oder Libyen nach Europa schwärmten, hatte sich die Türkei dazu bereiterklärt, die eigenen Grenzen im Norden des Landes zu schließen, was zu einer Ansammlung von 3,7 Millionen syrischen Flüchtlingen in eigens eingerichteten Lagern resultierte, die neben harten Wintern auch geringe Hygienestandards und häufig auch eine Knappheit an Lebensmitteln hinzunehmen hatten.

Erdogans Drohgebärden haben nicht zum gewünschten Resultat geführt, da seitens der NATO gerade einmal eine schriftliche Mitteilung der Verurteilung der anhaltenden Militäroffensive, mehr jedoch nicht, veröffentlicht wurde. Militäranalyst Scott Ritter kommentierte hierzu, dass „Zu einer Zeit, in der die NATO darauf fokussiert ist, Russland in den baltischen Staaten in Schach zu halten, es kein Anliegen des westlichen Militärbündnisses ist, eine zweite Front gegen die Russen in Syrien aufzumachen“.

Wie reagiert Europa?

Es ist bislang noch unbekannt, auf welche Weise Europa auf diese neuen Flüchtlingsströme reagieren wird, doch Tatsache ist, dass die europäischen Staaten nicht allzu viel tun können, um die russisch-syrischen Kräfte zurückzudrängen oder deren erfolgreichen Vorstoß in Idlib zu diesem Zeitpunkt zu sabotieren.

Falls die europäischen Staaten den Wunsch hegen sollten, die aus ihrer Sicht besten Resultate in diesem zeitlich lange anhaltenden (Kriegs-)Spiel zu zeitigen, wäre es das Beste, was deren politische Führungen unter aller Voraussicht unternehmen könnten, die Flüchtlingsströme mit offenen Armen zu empfangen, um Ankaras Rufe der Empörung auszukontern.

Russland und Syrien den Spielraum verleihend, die terroristischen Kräfte in der Provinz Idlib vollständig auszumerzen, würde der Mittlere Osten einer echten Stabilisierung bei einem sich anschließenden Wiederaufbau um so Vieles näherkommen. Im Umkehrschluss würde dieser Prozess der Region neben einer positiven Wachstumsdynamik auch Stabilität verleihen, was wiederum zu einer Rückkehr von vielen syrischen Flüchtlingen in deren Heimat und deren Teilnahme an einer Wiedergeburt ihrer Nation führen würde.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Neben den gesundheitlichen Risiken wachsen nun auch noch die Gefahren im Hinblick auf eine Intensivierung der militärischen Konflikte in der Welt. Die meisten der Flüchtlinge, die nun aus der Türkei in Richtung der griechisch-bulgarischen Grenzen streben, stammen aus Hochrisikogebieten, wenn sich die Dinge um das neue Coronavirus drehen. An dieser Stelle seien vor allem der Iran und Irak erwähnt. Es ließe sich nicht absehen, mit welch einer Geschwindigkeit sich SARS-CoV-2 in Europa verbreiten würde, falls eine Entscheidung zur Öffnung der Tore zu diesem Zeitpunkt getroffen würde, wonach es bislang nicht aussieht. Des Weiteren muss das Augenmerk auf die eskalierende Lage im Nahen und Mittleren Osten gelegt werden, wo sich abzuzeichnen beginnt, dass Russland immer stärker in den Syrien-Konflikt – und damit in der Folge vielleicht auch im Fall von angrenzenden Regionen – mit hineingezogen zu werden droht – mit allen Konsequenzen, die sich hieraus ergäben.

Gastbeitrag für CK*Wirtschaftsfacts / © 2020 Matthew Ehret / Strategic Culture Foundation

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